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Oberwasser

Oberwasser

Titel: Oberwasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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2 .
    Es war Anfang Mai, die Nacht war schwül, und ein warmer Wind schob sich im Schritttempo westwärts durch den Werdenfelser Talkessel. Der Mond hing über der Alpspitze wie ein frisch geschmiertes, ganz leicht angebissenes Schmalzbrot, er warf einen matten Glanz über den heruntergekommenen Schrottplatz dort unten am Rande des Kurorts. Der heiße Wind strich durch die verbeulten Rohre und ließ ein hohles Stöhnen und heiseres Rasseln hören. Das Mondlicht brachte die verbogenen Stahlteile und ausgeweideten Metallgerippe der Autowracks auf derart unheimliche Weise zum Glitzern und Funkeln, dass man nicht überrascht gewesen wäre, wenn sich die alten Kardanwellen und zerbrochenen Pleuelstangen zu einem schaurigen Totentanz aufgerafft hätten, zu so etwas wie einem
Danse Macabre
im Otto’schen Viertakt. Ein einzelnes Eisenteil stach besonders hervor. Es hing über der Tür des kleinen ramponierten Bürohäuschens, es war ein armdickes U, alle anderen Buchstaben des Wortes waren längst abgefallen. Sicher waren viele der Kunden schon stehengeblieben und hatten gerätselt, was denn das einst für eine Inschrift gewesen sein mochte. Denn der Schrottplatz gehörte dem alten und versoffenen, ganz und gar U-losen Heilinger Herbert. Gleich neben dem einsamen Buchstaben-Cowboy lehnte eine verwitterte Holzleiter an der Wand, sie führte in den ersten Stock, durch das zersplitterte Fenster konnte man ein paar Sofas und Chaiselongues mit herausgewachsenen Sprungfedern erkennen. Das wirkte von weitem fast romantisch und einladend, nahezu crimsig und cloverig, doch der Raum war bei genauerer Überprüfung so verwanzt und verlaust, so endgültig siffifiziert, dass sich der Mühlriedl Rudi und die Holzmayer Veronika entschlossen hatten, nicht dort oben zu bleiben, sie hatten es sich vielmehr gegenüber dem verfallenen Bürohäuschen, in einem alten Mercedes gemütlich gemacht. Der Benz war vor ein paar Tagen erst auf der Bundesstraße 2 vom rechten Weg abgekommen, in den Motorraum hatte sich eine kräftige Mittenwalder Tanne gefräst, die Lederbezüge im Inneren hingegen waren noch intakt und die Rücksitze luden zum launigen Verweilen ein. Der Mühlriedl und die Holzmayerin hatten sich auf den nachlässig abgesperrten Schrottplatz geschlichen, und der Diesel war ihnen gleich als erstes aufgefallen. Eine Weile hatten sie eng umschlungen nebeneinander gesessen und in die Nacht hinein gelauscht, die schaurigen Geräusche der Fahrzeugleichen um sie herum gaben ihnen noch den zusätzlichen Kick. Geflüsterte Liebesschwüre und gepresste Zukunftspläne flogen hin und her, dann aber hielten beide gleichzeitig inne. Sie richteten sich langsam auf und spähten vorsichtig durch die zersplitterten Fensterscheiben.
    »Hast du das gehört?«
    »Ja. Da draußen ist jemand.«
    »Angestellte vom Schrottplatz.«
    »Jetzt? Mitten in der Nacht?«
    Aus Richtung des Bürohäuschens näherten sich hastige Schritte, dazwischen wurden Stimmen laut. Es waren zornige Flüche in einer fremden Sprache, gepresste Beschimpfungen und gebellte Befehle. Man konnte drei Gestalten erkennen, einer davon ließ ein kurzes Rohrstück über dem Kopf kreisen, um es schließlich wütend auf den Boden zu knallen. Sie waren auf Krawall aus.
    »Jessas!«, sagte der Rudi und dämpfte die Stimme auf Winnetous Pirschlautstärke. »Was kommen denn da für welche?«
    Die Veronika sagte nichts, sie bekreuzigte sich zitternd.
     
    Der Mühlriedl und die Holzmayerin waren verheiratet, jeweils verheiratet, und jeweils unglücklich. Sie waren beide auch nicht gerade die Teenys, welche man auf dem Rücksitz eines zerbeulten Mercedes Benz erwartet hätte, sie waren schon im fortgeschrittenen Alter, hätten sich deshalb locker ein Hotelzimmer leisten können, was natürlich eine Lachnummer gewesen wäre in einer überschaubaren Gemeinde mit knapp dreißigtausend Einwohnern. Die Hotelbranche des Kurorts war fest in der Hand von hochmultiplikativen Ratschkathln und ureinheimischen Dampfplauderern, das Anmieten eines Hotelzimmers von zwei bekannten Größen des Ortes (Sägewerk und Apotheke) hätte sich mit Überlichtgeschwindigkeit herumgesprochen. Sie waren noch nicht sonderlich weit fortgeschritten mit ihren aushäusigen Aktivitäten, die Holzmayer Veronika hatte mal grade eben ihr Handtäschchen von der Schulter gestreift und auf den Sitz gestellt.
    »Die kommen direkt auf uns zu!«, flüsterte sie entsetzt.
    Der Mühlriedl Rudi murmelte ein paar unverständliche Worte, vielleicht

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