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Adieu, Sir Merivel

Adieu, Sir Merivel

Titel: Adieu, Sir Merivel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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schließlich vor seine Hoheit treten musste.
    Es scheint in der Tat so, als hätte Wills Verstand fast zwanzig Jahre lang über meinen gewacht, seine zahlreichen Lücken und Unzulänglichkeiten vorausgeahnt und versucht, Abhilfe zu schaffen, noch bevor ich mir ihrer überhaupt bewusst wurde. Und diese Erkenntnis rührt mich zu plötzlichen Tränen, weshalb Will mich, als er endlich die Bibliothek betritt, schluchzend am Kamin vorfindet. Obwohl er schlecht sehen kann, weiß er sofort, dass ich weine, und sagt: »Oh, nicht schon wieder, Sir Robert! Meiner Seel, ich glaube, noch bevor das Jahr zu Ende ist, werdet Ihr all Eure Taschentücher aufgebraucht haben.«
    »Zum Glück«, sage ich, »haben wir November, Will. Weshalb es nicht mehr viel Gelegenheit gibt, sie aufzubrauchen.«
    »Wie wahr, Sir«, sagt er, »aber ich weiß nicht, und keiner von uns hier auf Bidnold weiß, warum Ihr immer weinen müsst.«
    »Nein«, sage ich und schnäuze mich in ein seidenes Tuch, das mir meine einstige Geliebte, Lady Bathurst, schenkte und das inzwischen bis zur Durchsichtigkeit verschlissen ist. »Ich weiß es ebenso wenig. Nun, Will, ich habe nach dir geschickt, um dich über dieses Buch zu befragen. Eben jenes von mir in den Jahren 1664 bis 1667 geschriebene Buch, das ich in deine Hände gab, als dieses Haus mir 1668 wieder übereignet wurde. Hast du es damals unter meine Matratze gelegt?«
    Will lässt die Augen über den Boden vor seinen Füßen wandern, als wäre dort eine dunkle Höhle, in die niemals ein Lichtstrahl dringt. Endlich fällt sein Blick auf das Päckchen mit dem Buch.
    »1668?«, sagt er. »Das ist lange her, Sir Robert.«
    »Das weiß ich. Fünfzehn Jahre, um genau zu sein. Hast du also damals das Päckchen unter meine Matratze gelegt?«
    »Muss wohl so gewesen sein, Sir.«
    »Aber sicher bist du nicht?«
    »Welcher Sache könnte ein Mann sich schon sicher sein, Sir Robert?«
    »Nun, es gibt so etwas wie das Gedächtnis. Hast du irgendeine Erinnerung daran, dass du dieses Objekt in mein Bett gelegt hast?«
    »Ja, Sir.«
    »Ach?«
    »Ja. Ich nahm es und legte es unter Eure Matratze, wo Ihr es nicht sehen würdet.«
    Ich entferne mich vom Kamin, schreite im Zimmer auf und ab, stecke mein Seidentuch weg und versuche, meiner Person einen Anschein von Würde zu verleihen, so als verstünde ich die Situation zu meistern. Dann wende ich mich um und blicke Will vorwurfsvoll an. »Willst du also behaupten«, sage ich, »dass meine Matratze in sechzehn Jahren keinmal gewendet wurde?«
    Will rührt sich nicht, er steht neben dem Sekretär und hält sich daran fest, als müsste er sonst fallen. Endlich sagt er: »Es ist nicht meine Aufgabe, Matratzen zu wenden, Sir Robert.«
    »Ich weiß. Und dennoch, Will. Sechzehn Jahre! Bist du denn nicht der Ansicht, dass du als Haupt der Dienerschaft von Bidnold eine gewisse Verantwortung trägst? Hätten nicht Flöhe und Bettwanzen sich dort sammeln und mir Schaden zufügen können?«
    »Euch Schaden zufügen?«
    »Ja.«
    »Ich würde Euch niemals Schaden zufügen, Sir Robert.«
    »Ich weiß, Will. Alles, was ich wissen möchte –«
    »Aber da ist noch etwas.«
    »Ja?«
    »Manchmal sieht man Dinge einfach nicht.«
    »Wie meinst du das?«
    »Ich meine … dieses Buch von Euch, es ist so verblichen und verstaubt mit der Zeit, dass es – für das Kammermädchen – vielleicht wie ein Keil aussah, der die Ecken der Bettstatt zusammenhält.«
    Ein Keil, der die Ecken der Bettstatt zusammenhält.
    Ich gestehe freimütig, dass ich über diese letzte Äußerung von Will tatsächlich lächeln muss. Mein Lächeln wird rasch zu lautem Lachen, worauf Will ein überaus erleichtertes Gesicht macht. Vermutlich ist es nicht sehr angenehm, für einen Herrn zu arbeiten, der so häufig von Melancholie und kindischen Tränen überwältigt wird, und ich weiß, dass ich einen Weg finden muss, mein Dasein heiterer zu gestalten. Im Augenblick jedoch bin ich ratlos, wie ich diese Aufgabe angehen soll.
    Ich schicke Will weg. Erneut öffne ich das Buch (das ich fortan als den Keil bezeichnen werde) und beginne zu lesen.
    Ich lese, bis sich die Novemberdunkelheit herabzusenken beginnt. Kein Diener erscheint in der Bibliothek, um eine Lampe anzuzünden, weshalb der Raum sich mit sehr blauen Schatten füllt.
    Und ein noch dunklerer Schatten kriecht aus der Geschichte hervor und scheint stumm neben mir im Raum zu stehen. Ich bilde mir ein, dass ich den muffigen Geruch seiner Kleidung riechen und seine weißen

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