Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 11 Herrenlose Bestien
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„Nachschub, junger Mann?“
Der Angesprochene ließ zu, dass die Hausmutter ihm frischen Tee eingoss. Seine Finger hatte er krampfhaft um die Tasse geschlossen, weshalb die ältere Frau vorsichtig zu Werke gehen musste. Ihre knotigen Hände zitterten ein wenig, und ihr verkniffener Gesichtsausdruck ließ erahnen, wie viel Vergnügen es ihr bereitete, wortkarge und undankbare junge Leute zu bedienen.
In langgezogenen Dampfschwaden verflüchtigte sich die Wärme der dunklen Flüssigkeit. Der Gast nahm einen Schluck. Der Tee hatte zu lange gezogen, schmeckte bitter, herb und auf eine seltsame Weise alt , aber ihm war diese Bitterkeit nicht unangenehm.
Schweigend war er in die kleine Pension eingezogen, und schweigend würde er wieder auschecken. Er hatte nichts bei sich außer einer kleinen Tasche mit ein paar Kleidern und Waschsachen. Zwischen den Klamotten steckte auch sein Portemonnaie, darin fünfzig Euro in bar, sein Personalausweis, eine Kreditkarte. Die Tasche lag auf dem Stuhl neben ihm. Nach dem Frühstück würde er nicht mehr auf sein Zimmer zurückkehren.
Noch hatte er sich nicht entschließen können, den Schwarzwald zu verlassen, noch hielt ihn etwas in der Nähe der Schule. Bis er Ordnung in seine Gedanken gebracht hatte, war es vielleicht besser, in der Nähe zu bleiben. Es gab ohnehin keinen Ort, an dem jemand auf ihn wartete. Auf seinem Konto lagen noch dreitausend Euro. Wenn sie verbraucht waren, würde er irgendwo arbeiten oder auf der Straße leben.
Das alles schien ihm seltsam unwichtig.
Man hatte Artur Leik eine Menge Dinge erzählt, während er eingesperrt war. Dinge, die ihn nicht interessierten. Über die rechtlichen Grundlagen seiner Inhaftierung war er ausreichend in Kenntnis gesetzt worden, doch diese kümmerten ihn nicht. Es machte ihm nichts aus, hinter Gittern zu sein, er hegte auch keinen Groll gegen die Justiz und legte keinen Wert darauf, mit einem Anwalt nach Wegen aus der U-Haft zu suchen.
All diese Belanglosigkeiten hatten keinen Platz in seinem Kopf.
Ihn beschäftigte nur eines: Er wollte wissen, was geschehen war. Was er wirklich getan hatte.
Unter welchem Verdacht er stand, wusste er ja.
Zuerst sollte er die zwölfjährige Anna ermordet haben, ein Mädchen, das er zuvor nie gesehen hatte. Danach sollte er Melanie Kufleitner, seine Mitschülerin auf Falkengrund, an den Ort des Verbrechens gelockt haben, in der Absicht, sie ebenfalls zu töten. Einen Versuch hatte er erwiesenermaßen unternommen. Man hielt es sogar für möglich, dass er nur in die Schule eingetreten war, um von dort aus seinem krankhaften Trieb nachzugehen. Die letzten Jahre hatte er in München verbracht – in einer Großstadt. War es ihm dort zu eng geworden? Schloss Falkengrund war von ausgedehnten Wäldern umschlossen. In einer solchen Umgebung würde es einem geisteskranken Mörder leichter fallen, seine Opfer zu finden, zu töten und verschwinden zu lassen, ohne beobachtet zu werden. Es war ein idealer Ort für eine Bestie in Menschengestalt.
Artur hatte sich solche Theorien anhören müssen. Immer wieder war er verhört worden, mit den unterschiedlichsten Methoden, von Polizisten und Psychologen. Er redete so wenig wie möglich. Natürlich merkten sie, wie unsicher er war. Gerade, weil er den Mund kaum aufmachte.
Obwohl er ihnen nichts von seinem Schutzengel erzählte, ertasteten die Psychologen ein Geheimnis in seinem Inneren wie ein Geschwür. Sie begriffen sehr schnell, dass er ihnen nicht die ganze Wahrheit erzählte. Und das war schlecht – sehr schlecht. Artur wusste genau, was sie dachten. Sie nahmen an, dass er seine Taten vor sich selbst verbarg. Dass er deshalb nicht fähig war, seine Verbrechen zuzugeben, weil er sie sich selbst nicht eingestand.
Stimmte das?
Er schlief wenig während seiner Haft. Grübelte viel nach, nicht nur über den Tag, an dem er mit Melanie den Waldspaziergang gemacht hatte und diesem kupfernen Tank begegnet war. Über sein ganzes bisheriges Leben dachte er nach. Es kam ihm merkwürdig schwammig und unklar vor, und er fragte sich, ob das, was er für seinen Schutzengel gehalten hatte, nicht etwas ganz anderes war. Ein zweites Ich zum Beispiel. Ein dunkles Spiegelbild, das sich als sein Beschützer tarnte und in Wirklichkeit in seinem Körper lebte wie ein Parasit. Das von seiner Kraft zehrte und an die Oberfläche kam, sobald es stark genug war.
Die Sache mit Madoka ... eine Attacke wie diese hatte er nie zuvor erlebt. Was immer in ihm war, es hatte
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