Adrianas Nacht
Länge geschwinder wieder in Dich hineingleiten. Wie im Wiegeschritt eines Tangos tat ich es, der langsam sein Tempo steigert und in schwindelnden Rausch führt. War er fast im Licht, spürte ich die sofortige Sehnsucht Deines Geschlechts, gefüllt, gereizt, inwendig gestreichelt, durchbohrt zu sein. War ich in Dir, fürchtete ich, Du würdest ihn ganz verschlingen, nie wieder fortlassen aus Deinem dunklen, lockenden Palast der Lüste. Wir tanzten glücklich diesen ältesten aller Tänze, streichelten einander, erfüllten einander, gaben, gaben, gaben dem anderen alles, was wir hatten, so nackt, als Geschenk, unsere Körper, unseren Atem, unseren Herzschlag, Haut und Haar, Gerüche, Geräusche, Stöhnen, gestammelte Fetzen von Liebesbekundungen, gaben es und wurden im Geben beschenkt mit der Einmaligkeit dieses Moments, mit dem alles aufwühlenden, wütenden Begehren, mit dem Glück der gemeinsam uns nun durchfahrenden Kraft, die uns ins herrlichste Licht schoss, in die Vereinigung, in die Krönung der Lust, in die letzte höchste Lust, die wir aneinander hatten.
So begann unser erster gemeinsamer Abend etwas abseits dieses schönen Festes.
2.
Ich saß nun schon seit etwas mehr als einer Stunde an ihrem Bett. Sie schien zu schlafen. Man hatte ihre Hände gefaltet, auf den reinweißen Bettbezug gelegt. Ihr leicht gewelltes, mittelblondes Haar war fein säuberlich zurückgekämmt worden. Ihr Gesicht war schön wie immer, regungslos, blass, ungeschminkt und wirkte beinahe wie aus Porzellan. Seit ich das Zimmer betreten hatte, lag sie so da, und gestern auch und die ganze Woche schon. Ihr Name war Adriana.
Ich hatte das Piepsen und Schnarren der Geräte, an die sie angeschlossen war, längst ausgeblendet. Sah nur sie, wollte nur sie sehen, wollte nur ihren schwachen Atem hören, nicht das Pumpen der Beatmungsmaschine, die dieses Atmen vermutlich hervorrief. Durch die halb geöffneten Vorhänge fiel ein strahlender Balken abendlichen Lichts auf das Bett. Seit ich hier saß, hatte er sich von Adrianas linker Hand zur rechten Hand bewegt. Sonst passierte nichts in diesem Raum, die Zeit hatte aufgehört zu sein.
Sie hatten Adriana ein Einzelzimmer gegeben, nicht, weil sie ein besonderer Fall war, sondern weil ihr Mann dies extra für sie bestellt und bezahlt hatte. Er wollte die beste Pflege für sie, und er wünschte, dass sie bald zu ihm und ihrer kleinen Tochter zurückkehren würde. Eine Schwester hatte mir erzählt, dass er jeden Abend von 17.00 bis 18.30 Uhr zu ihr kam, vorm Schlafengehen, wie er mit einem Blick auf die Tochter, die Antonia hieß, aber Toni genannt wurde, sagte. Jeden Abend kamen die zwei und besuchten Adriana. Saßen wie ich an ihrem Bett, brachten ihr kleine Geschenke, die Adriana nicht bemerkte, streichelten sie. Vergebens. Adriana lag da, regte sich nicht, hatte die Augen geschlossen und schlief. Koma hieß der ärztliche Befund.
Koma bedeutet nichts weiter als schwerer Schlaf. Ein griechisches Wort für einen Zustand zwischen Leben und Tod, von dem man weiß, dass der Weg zum Tod von dort aus wesentlich kürzer ist als der zum Leben. Es gibt viele Straßen, die auf diesen einsamen Weg einmünden. In Adrianas Fall war es ein Schädelhirntrauma, das hierhergeführt hatte.
Ich stand dabei, als es passierte, und ich durfte mich nicht zu erkennen geben, nachdem es passiert war. Deshalb hatte ich die Besuchszeiten von Adrianas Mann und ihrer Tochter genau erforscht und meinen Tagesrhythmus nun so geplant, dass ich ihnen bisher zum Glück nicht begegnet war.
Was bleibt von einem Menschen, einem geliebten Menschen, wenn er ins Koma fällt? Was erreicht ihn noch an Worten, Berührungen, Klängen? Eine knappe Woche nach dem Unfall hörte ich auf dem Gang den behandelnden Arzt mit einer jungen, ausnehmend hübschen Schwester über den Fall sprechen. Er erklärte, es sei bewiesen, dass auf sehr komplexem Wege doch noch viele Reize zu einer Komapatientin durchdrängen. Studien hätten gezeigt, dass diejenigen Menschen eine wesentlich höhere Chance hätten, wieder zu erwachen, die Zuneigung empfingen, die von ihren Freunden und Verwandten liebevoll angesprochen wurden, die auch körperliche Zuneigung wie Streicheln, Küssen und dergleichen erhielten. Und das in einem solchen Fall auch weniger Folgeschäden zu befürchten seien. Starke positive emotionale Reize, stark positiv besetzte Erinnerungen, so es gelang, sie in den Patienten zu wecken, hätten schon Wunder gewirkt. Im Falle von Adriana würde er
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