Adrianas Nacht
ihn an und wankte zum Schreibtisch.
In meinem betrunkenen Kopf hatte sich infolge meines Gesprächs mit Canan eine fixe Idee eingenistet. Hatte ich Adrianas Leben nicht vor ihrem Unfall durch unsere erotischen Abenteuer bereichert? Nun , da es hieß, emotionale Ansprache und ein liebevoller Umgang würden vielleicht helfen, sie wieder zurückzuholen, wollte ich ihr unsere Eskapaden so genau wieder in Erinnerung rufen, dass sie zu vollem Bewusstsein zurückkehren würde. Ich würde ihr so dezidiert und explizit und emotional aufgeladen jede Regung, Bewegung, jedes Küssen, Streicheln, Lecken, jedes Gefühl schildern, dass sie im wahrsten Sinne des Wortes Lust bekommen würde auf unsere Wirklichkeit und eine Sehnsucht, diese herrlichen Dinge wieder auch mit ihrem heute so regungslos daliegenden Körper zu erfahren und zu geben.
Ich saß am Schreibtisch, fröstelte und erinnerte mich wieder an den ersten Abend mit Adriana.
Nachdem wir uns angekleidet hatten, Adriana und ich, damals im Pavillon auf dem Fest von P., lachend der Versuchung widerstehend, uns die Kleider erneut vom Leib zu reißen und von vorn mit dem so aufwühlenden und zugleich unglaublich entspannenden Liebesspiel zu beginnen, überprüften wir einander auf Spuren unserer Leidenschaft und verließen den Pavillon dann Hand in Hand, einander noch ein wenig spürend, mit einem Finger ein letztes Mal streichelnd, mit jedem Streicheln eine Welle der nun schon schönsten Erinnerung hervorrufend. Solange uns das Halbdunkel, die flackernde Aura der Fackeln vor der Entdeckung schützte, hielten wir einander bei den Händen. Dann, als wir den Rasen fast überquert hatten, entwand sich Adrianas Hand meiner. Ich sah, wie sie mit zwei Fingern der linken Hand kurz den Ehering an ihrer rechten Hand drehte, wie um zu überprüfen, ob der Ring nach dieser Tat noch unversehrt am Platz sei. Adriana bemerkte meinen Blick, und sie lächelte unsicher, entschuldigend, so als hätte sie nun in diesem wunderschönen Moment nach unserer phantastischen Liebesstunde gleich wieder ein schlechtes Gewissen, weil sie mich, kaum hatten wir den Pavillon verlassen, schon mit einem Gedanken an ihren Mann betrog.
Der Garten war inzwischen bevölkert von vielen Paaren und kleinen Gruppen, die etwas abseits der Tanzmusik, die auf der Terrasse erklang, sich weiter unterhalten wollten. Dort stießen wir auch auf Adrianas Freundin. Da sie uns zusammen sah, gab es keine andere Möglichkeit, sich unverdächtig zu zeigen, als mich ihr vorzustellen. Also machte Adriana einen entschlossenen Schritt auf ihre Freundin zu, zog mich in die Runde und begann mit der Vorstellung: »Hallo, Nicole, darf ich dir …«
Dann platzte eines der wundervollsten Lachen aus Adriana hervor! Sie warf sich nach hinten, alles Elegante verschwand, und ein vollkommen ehrlich interessiertes, burschikoses »Ja, scheiße, wie heißt du denn überhaupt?« schoss aus ihrem entzückenden Mund. Dann krümmte sie sich vor Lachen, drehte sich weg von der Runde und versuchte, den Lachkrampf, der sie schüttelte, irgendwie wieder in den Griff zu bekommen. Ich streckte Adrianas Freundin die Hand entgegen, sagte entschuldigend: »Guten Abend, Nicole, freut mich sehr! Deine lustige Freundin und ich haben uns gerade an der Bar kennengelernt, und ich habe sie wohl etwas zu eindringlich von der Qualität des russischen Wodkas hier überzeugt.«
Dann sagte ich laut, auch in Adrianas Richtung lachend: »Mein Name ist übrigens Leon!«
Nicole musterte uns, lächelte freundlich professionell, wobei in ihren Mundwinkeln und ihren auffällig schönen, hellblauen Augen eine leichte Ironie aufblitzte. Ich vermute, sie hatte bereits in diesem Moment alles über Adriana und mich erkannt. Aber das machte nichts, denn später würde ihr eine noch bedeutendere Rolle zukommen als die der zufälligen Entdeckerin: Sie würde unser beider Gespielin sein.
Nun aber übernahm Nicole professionell das Ruder, stellte mir und der langsam wieder zu sich findenden Adriana auch die anderen Männer und Frauen der Runde vor. Wir wurden in die Gruppe aufgenommen, ins Gespräch verwickelt, und dann trieb uns die Dynamik des Abends langsam auseinander.
Ich wusste in dem Moment, als mich eine Freundin von Nicole fortzog und mich bat, ihr auch diesen offensichtlich sehr belustigenden Wodka zu besorgen, nicht, wie ich mich nun Adriana gegenüber verhalten sollte. Ich hatte noch kein Gefühl dafür entwickelt, was dieses singuläre Ereignis im weiteren Verlauf des
Weitere Kostenlose Bücher