Aengste verstehen und hinter sich lassen
sich in manchen Schilderungen wieder und können sich darüber selbst besser verstehen.
Wie erleben Betroffene ihre Ängste?
In den folgenden Abschnitten kommen drei Patientinnen bzw. Patienten, die wir behandelt haben, zu Wort. Oft lassen sich allerdings die Gefühle während konkreter Angstattacken gar nicht so leicht in Worte fassen. Die sprachliche Beschreibung der Angstsituationen ist ein wichtiger Zugang zu den Angstsymptomen, aber kein umfassender. Die Angstattacken werden gewöhnlich als emotionale Extremsituationen erlebt, die in sprachlichen Berichten nicht angemessen beschrieben werden können. Vor diesem Hintergrund sollen die im Folgenden dargestellten Berichte als Ausschnitte der ganzen Symptomatik verstanden werden.
Wenn ich meine Wohnung verlassen muss, überkommt mich große Angst
Renate K., 48 Jahre
Wenn ich zum Einkaufen in die Stadt gehen muss, dann überkommen mich schon bei dem Gedanken daran große Angst und Unwohlsein. Mir geht es dann richtig schlecht, und ich habe panische Angst davor, dass mir etwas zustößt und ich nicht mehr zurück in meine Wohnung komme. Wenn sich der Einkauf nicht vermeiden lässt, nehme ich das Fahrrad, sodass ich im Falle eines Falles schnellstmöglich nach Hause kommen kann. Das Fahrrad lasse ich dann so nah wie möglich am Eingang des jeweiligen Geschäfts stehen. Ich suche nur Geschäfte auf, wo ich die Besorgungen im Erdgeschoss machen kann. Ein höheres Stockwerk aufzusuchen, traue ich mich nicht, da dann der Weg nach draußen unberechenbarer wird. Während des Einkaufens geht mir dauernd durch den Kopf, dass mir etwas passieren und ich ohnmächtig werden könnte. Ich könnte durchdrehen, die Kontrolle verlieren, verrückt werden.
Wegen dieser Gedanken und Ängste kann ich mich meist gar nicht auf das Einkaufen konzentrieren. Im Geschäft muss ich immer den Ausgang im Blick haben und den kürzesten Weg nach draußen kennen. Habe ich es dann endlich geschafft, das Gebäude verlassen und mein Fahrrad erreicht, fühle ich mich wieder etwas sicherer. Allerdings ist da noch der Rückweg zu meiner Wohnung. Weiterhin gehen die Gedanken durch meinen Kopf, dass mir etwas passieren und ich nicht mehr zurückkommen könnte. Wegen dieser Sorge ist es mir auch gar nicht möglich, durch eine Unterführung zu gehen oder zu fahren. Ich würde in der Unterführung panisch werden, weil ich nicht schnell nach oben kommen könnte. Da nehme ich lieber größere Umwege in Kauf.
Erst wenn ich wieder in meiner Wohnung bin, fühle ich mich einigermaßen sicher und kann aufatmen.
Seit vielen Jahren fahre ich auch schon nicht mehr mit der Straßenbahn oder anderen öffentlichen Verkehrsmitteln. Ich hätte da drin unerträgliche Angst, weil ich nicht jederzeit aus der Straßenbahn aussteigen könnte.
Einerseits bin ich dann erleichtert, andererseits aber auch traurig und wütend, dass wieder alles so schlimm wie eh und je war. Es scheint irgendwie keinen Fortschritt zu geben. Nach dem Einkauf kommt es durchaus vor, dass ich merke, Dinge gekauft zu haben, die mir gar nicht wirklich gefallen oder nicht einmal gut passen. Vor lauter Angst war ich gar nicht in der Lage, in aller Ruhe auszuwählen und unterschiedliche Kleider anzuprobieren.
Hier erzählt eine Betroffene relativ klassische Symptome einer Platzangst , einer Agoraphobie . Vielleicht kennen auch Sie eine große Angst vor Situationen, in denen Sie nicht genügend Sicherheit empfinden, aus denen Sie nicht schnell fliehen können und in denen Sie fürchten, keine schnelle Hilfe erhalten zu können. Schon bevor Sie sich solchen Situationen aussetzen, verspüren Sie Angst: Es hat sich eine „Angst vor der Angst“ entwickelt. Wegen dieser Angst vor der Angst entwickelt sich immer mehr Vermeidungsverhalten. Die Frau verlässt die Wohnung nur noch dann, wenn es absolut unvermeidbar ist, und vermeidet bestimmte Örtlichkeiten wie zum Beispiel höhere Geschosse in Läden und Wohnhäusern gänzlich. Bei sich selbst hat sie noch niemals erlebt, dass der gefürchtete „Fall“ eingetreten ist: Sie ist noch nie hilflos gewesen, hat noch keine Ohnmacht erlebt und noch niemals akute medizinische Hilfe benötigt. Sie weiß, dass sie körperlich gesund ist und eigentlich nichts zu befürchten hätte. Doch dieses Wissen nützt der Betroffenen in der akuten Situation nichts. Die Gefühle überwiegen und bestimmen die Situation. Diese Unzulänglichkeit der „Vernunft“, des Wissens in der akuten Situation ist dann auch dafür
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