Aerger mit dem Borstenvieh
Die große Kuhjagd
D ie große Kuhjagd oder das Holgate Wettrennen bildete den Auftakt zu unserem zweiten Jahr als Bauern auf dem Land. Es handelte sich um ein improvisiertes Ereignis, das sich über 30 Hektar, also fast das gesamte Gebiet der Egerton Farm, erstreckte. Die Milchkühe lagen in erster und zweiter Position, ich folgte als beachtlicher dritter und meine Frau Shirley bildete hysterisch schreiend den Schluß.
Das geschah in der letzten Märzwoche. Den Anlaß dafür gab ein preisgekrönter Herefordstier unseres Nachbarn sowie der Umstand, daß Nitpicker, eine unserer Milchkühe, noch nicht trächtig war.
Es entsprach mal wieder ganz ihrem Charakter. Wenn man irgend etwas falsch machen konnte, egal was, so fand sie eine Möglichkeit dafür. Alles was für die restliche Herde einfach und natürlich war, wurde für sie zu einem ungeheuerlichen Problem. Bereits die geringste Abweichung von der Routine versetzte sie in Panik.
Ein Beispiel: Der Viehhof, in dem die Kühe zweimal pro Tag zusammengetrieben wurden, war mit dem Melkstall durch eine Schiebetür verbunden. Nitpicker kam jedesmal durch diese Tür mit einem wuchtigen Anlauf, der sie in einem Schwung durch den dazwischen liegenden Raum bis zur dritten der sechs Melkboxen brachte. Wenn sie allerdings diesen Platz bereits besetzt fand, war sie völlig verdattert. Jede andere Kuh würde darauf zu einem Platz gehen, der noch frei war — aber nicht sie! Nach einigen panischen Augenblicken rannte sie zurück in den Vorhof, drängte dabei jede Kuh zur Seite, die gerade hereinkommen wollte, und setzte zu einem neuen Versuch an. Das Ergebnis war chaotisch.
Aufgrund eines solchen Charakters war es für uns nicht überraschend festzustellen, daß mit Hilfe des künstlichen Befruchtungsdienstes zwar die anderen Kühe trächtig wurden, aber nicht Nitpicker.
Notwenig war das Ganze, weil bekanntlich Kühe Milch produzieren, um Kälber zu säugen und nicht, um die Milchflaschen der Hausfrauen zu füllen. Hinzu kommt, daß Rinder lediglich alle drei Wochen drei Tage lang fruchtbar sind, allerdings nicht während der gesamten zweiundsiebzig Stunden dieser Zeit. Nach der Geburt eines Kalbes gibt eine Kuh etwa dreihundertfünf Tage Milch, bevor sie wieder >trocken< ist. Kein neues Kalb, keine Milch — so einfach ist das.
Dreimal waren die Leute vom Künstlichen Befruchtungsdienst bei Nitpicker gewesen. Umsonst. Unsere bäuerlichen Freunde waren einer Meinung, daß als einzige Lösung des Problems ein >natürlicher Bulle< in Frage kam. »Die machen das schon sehr viel länger als die Herren mit ihren steifen Hüten«, meinte unser nächster Nachbar, der blonde, stämmige Willem. »Bring sie auf meinen Hof, und wir woll’n mal seh’n, was der Bulle zustande bringt!« Doch warnend fügte er hinzu: »Seit Dezember waren die Kühe im Stall eingesperrt gewesen, so daß sie jetzt vielleicht ein bißchen ungestüm sind. Es ist wohl besser, wenn du Nitpicker nicht allein herbringst, man kann sie immer leichter führen, wenn sie zu zweit oder dritt sind.«
Das machte Sinn: In den einschlägigen Büchern, aus denen wir hauptsächlich unser Wissen bezogen, hatten wir alles über den Herdentrieb gelesen. Konnte es eine passendere Begleiterin geben, als die vernünftige Gaffer, die Leitkuh unserer kleinen Herde?
Nachdem sich die Kinder am nächsten Morgen zur Schule aufgemacht hatten, gingen Shirley und ich hinüber zu dem überdachten Rinderhof und trennten die beiden Tiere von ihren Kameradinnen. Sie trauten kaum ihren großen braunen Augen, als sie das offene Tor sahen: Freiheit nach den langen Monaten des Eingesperrtseins! Sie brauchten keine besondere Aufforderung.
Sobald sie draußen waren, fing unser Ärger an. Wie störrische Wildpferde schlugen sie hinten aus und rannten los... allerdings in die falsche Richtung! Die Gatter zu den Weiden standen weit offen, damit die Schafe während der Wintermonate sich auf dem Gelände frei bewegen konnten. Wie zwei geölte Blitze sausten die beiden Kühe durch das erste Tor. Alles an ihnen war in Bewegung: Schwänze, Euter, Hüften, Hörner und Kopf!
Natürlich hätten wir uns kaltblütig, ruhig und gelassen verhalten sollen, aber vielleicht hatte uns die ausgelassene Stimmung der Kühe angesteckt. Shirley wurde beim Laufen durch die vielen Schichten ihrer Stricksachen behindert, nicht gerade die praktischste Rennkleidung. Sie sah wie eine gestrickte Puppe aus. Ich trug einen warmen Rollkragenpullover. Shirley hatte ihn aus Wolle
Weitere Kostenlose Bücher