Aeternus - Eisiger Kuss: Roman (German Edition)
sich dabei wie ein dummes Mädchen.
»Du musst in dein Innerstes hineinreichen und das Tier des Hungers erfühlen.«
Ein Tier? Sie riss die Augen auf. Schon seit einiger Zeit spürte sie, wie es sie belauerte. Woher weiß er das?
»Es lebt in uns allen«, sagte Christian, als könnte er ihre Gedanken lesen. »Gib ihm eine Gestalt – gib ihm Leben und mach es real.« Seine Stimme floss über sie und nahm die Anspannung aus ihren Schultern.
Dunkelheit kroch in Antoinettes Geist und bewegte sich verstohlen hinter ihren Gedanken. Sie versteifte sich und atmete tief ein. Sie hatte Angst.
»Spürst du es?« Christians sanfte und leise Stimme stärkte sie. »Das Tier will dich verschlingen, aber das darfst du nicht zulassen.«
Sie nickte und konzentrierte sich ganz auf die knurrende Bestie, die sich in den Schatten ihres Geists verbarg.
»Du musst es streicheln, es umschmeicheln oder schlagen – du musst alles tun, was in deiner Macht steht, umes zu beherrschen.« Seine Stimme war so nah, als flüstere sie ihr direkt ins Ohr – fast spürte sie seinen Atem auf ihrem Hals.
Sie wollte sich dem Tier nicht stellen. Es wäre besser, wenn es in seinem Versteck blieb. Sie spürte, wie das Tier des Hungers in der Dunkelheit kauerte, als ob es sich darauf vorbereitete, Antoinette anzuspringen. Sie wich zurück. Die Angst erschuf einen Knoten in ihrer Kehle und machte ihr das Schlucken schwer. Sie wollte weglaufen, aber dann würde das Tier sie von hinten anfallen und verschlingen. Sie würgte ihre Angst hinunter, drehte sich um und stellte sich der Bestie.
Wie konnte sie ein solches wildes Wesen besänftigen? Mit Musik natürlich. Instinktiv summte sie ein französisches Schlaflied, das ihre Mutter ihr immer dann vorgesungen hatte, wenn sie schlecht geträumt hatte. Das Tier wurde still und schnurrte, aber sie brachte es noch immer nicht über sich, es anzusehen.
»Funktioniert es? Wird das Tier leiser?«, fragte Christian.
Erneut nickte sie. Sie wagte nicht zu sprechen, sondern summte weiter.
»Wenn du so weit bist, musst du dich dem Tier nähern und seine Existenz anerkennen. Erst dann wirst du wirklich in der Lage sein, es zu kontrollieren.«
»Nein …« Ihre Lider öffneten sich flatternd. »Ich werde es niemals anerkennen können. Niemals.« Sie ballte die Fäuste so fest, dass sich ihre Fingernägel in die Handflächen bohrten.
Christians Blick wurde matt. »Wenn du das Biest nicht umarmen kannst, wird es dich verschlingen.«
Oberon lief nicht mehr auf und ab, sondern stand reglos da und hatte die Augen geschlossen. Als er sie wieder öffnete, war die Wildheit teilweise aus ihnen gewichen,und er schien etwas ruhiger zu sein. Verschämt zuckte er mit den Schultern, als er bemerkte, dass die anderen beiden ihn ansahen. »Ich habe nur gerade mein inneres Tier berührt – in meinem Fall den inneren Bären. Netter Trick, Laroque.«
»Das hat mir mein Vater beigebracht, und in solchen Zeiten hilft es.« Christian lehnte sich zurück und schloss die Augen. »Es gibt Zeiten, in denen das Tier entfesselt werden muss, aber es muss immer unter Kontrolle bleiben.«
Ihr sank das Herz. Jeder Tag würde einen neuen Kampf gegen ihre neue Natur bringen. Jeden Tag würde sie gegen das Tier ankämpfen müssen, damit es sie nicht verschlang. Wenn Christian sie doch bloß nicht … Sie hielt inne. Es hatte keinen Zweck, darüber nachzudenken.
Die Tür zum Laboratorium wurde geöffnet, und Antoinette spannte sich an, aber es war nur Lisbet, die im Rahmen stehen blieb und sich zögerlich umschaute. Schließlich kam sie näher und berührte die Tafel auf dem Podest.
»Die anderen können uns nicht hören«, sagte sie zu Antoinette, als sie näher gekommen war. »Der Talisman birgt eine mächtige Magie, und daher sind wir hier vor diesen kleinen schwarzen Kästchen sicher.«
»Du meinst die Überwachungskameras.«
Das Mädchen zuckte mit den Schultern. »Er hat sie oben im Haus – kleine schwarze Kästchen, durch die er alles beobachtet. Aber der Talisman verhindert, dass er sieht oder hört, was hier vorgeht. Niemand kann diesen Bereich durch Magie oder Technik finden.«
»Warum beziehst du die beiden nicht mit ein?« Antoinette deutete mit dem Kinn auf Christian und Oberon.
Die Männer standen so nahe vor den Gitterstäben, wie sie es wagen konnten, und auf ihren Gesichtern zeichnete sich große Besorgnis ab.
»Weil ich mit dir allein sprechen will. Schließlich gehörst du zur Familie.« Lisbet reckte die Schultern.
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