Afrika Quer (German Edition)
ich das auf jeden Fall - vorbeifuhr, nahm ich instinktiv den Fuß vom Gas, damit sie nicht vom Sog meines Autos vom Gehsteig gefegt wurden.
Die muffig riechenden Hauseingänge, die komplizierten Gebilde aus einer Mischung von Makramee, Trockenblumen und raffinierter Biederkeit, die an den Eingangstüren hingen, und die Vorgärten mit ihren Tröpfelketten, Töpfen und Vogelbassins sagten jedem unzweideutig, hier wohnt Familie Müller-Meier-Heinemann. Sie hat das alles gehegt und gepflegt, das ist ihr Territorium, und da kommen sie nicht rein! - um nur eine paar Einträge aus dem langen Lexikon des Unbehagens zu nennen.
Mich erfasste eine profunde und unerschöpfliche Langeweile für alles und jeden. Aber das entscheidende, was mich zum natürlichen Außenseiter machte, war: Ich verstand die Leute einfach nicht mehr. Wenn sie doch – so ging das immergleiche Mantra meiner Überlegungen – so viel hatten, wenn es ihnen doch so offensichtlich so gut ging, wieso ließen sie es sich dann nicht gut gehen? Was machte ihnen überhaupt Freude in einem solch freudlosen Leben? Sie hatten doch alles! Wo lag denn das Problem? Wieso taten sie nicht, was ich, was jeder Afrikaner getan hätte: feiern.
Meine togolesische Bekannte, der ich meine Nöte schilderte, versuchte mich aufzumuntern: „Also, das habe ich mich auch schon gefragt“, sagte sie, und sie scherzte nicht. „Aber ich glaube, im Urlaub, da fangen die Deutschen an, richtig aus sich herauszugehen.“
Wiederum ging es nur noch darum, es mir einzugestehen: Je länger ich in Deutschland war, umso mehr fing ich an, meinem Afrika nachzutrauern.
Hoppla!
Als ich noch dort gewohnt hatte, war es nie „mein“ Afrika, sondern immer das der anderen. Aber jetzt auf einmal fehlte es mir, und wie es mir fehlte!
Erst so, durch die Differenz zu Deutschland, habe ich gemerkt, dass ich mich in Afrika verändert haben musste, dass ich, obwohl ich dort immer der Weiße war, selbst ein bisschen zum Afrikaner geworden war.
Und noch eine Erkenntnis bekam ich gratis dazu: Dass es davon kein Zurück gab, und dass ich diese Seite von mir nicht mehr einfach so abschütteln konnte, selbst wenn ich das gewollt hätte.
Allerdings brachten mich diese Einsichten auch in Gewissensnöte. Denn deshalb habe ich mich lange gefragt, wie es sein kann, dass ich Afrika so vermisste. Wie konnte mir ein Kontinent fehlen, auf dem so viele Menschen litten, auf dem so viele Leute so offensichtlich mit Füßen getreten wurden, der - mit einem Wort - so offensichtlich so viele Zivilisationsschübe weniger erlebt hat als Europa?
Weil mir die Antwort auf diese Frage so schwer fiel, habe ich am Anfang einen „Widerstand“ bei mir vermutet, wie es in der Psychoanalyse heißt, oder „den Ort, wo es wehtut“ im Fussballtrainer-Jargon.
Aber das war es nicht. Die Antwort auf die Frage fiel mir nicht so schwer, weil sie einen besonders wunden Punkt bei mir berührte, sondern weil sie nicht besonders schmeichelhaft erscheint.
Der erste Teil der Frage ist außerdem leicht zu beantworten. Leid, so dass es wirklich (Mit-)Leid bei einem selbst auslöst, ist nur solches, das Leute betrifft, zu denen man eine emotionelle Bindung hat, die man kennt und mag. Vom Leid fremder Menschen kann man sehr leicht abstrahieren. Das heißt: Ohne jegliche Probleme kann man in Afrika leben, ohne sich über Hunger, Krieg oder AIDS Gedanken zu machen, ja, ohne sie überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, genauso wie man in Deutschland ohne Probleme leben kann, wo sie nur ein paar Fernsehbilder in den Abendnachrichten entfernt sind.
Zweitens fehlt mir sicher die Spontaneität, die Herzlichkeit und die Offenheit der Afrikaner und alles, was man gerne damit assoziiert, und bestimmt auch - wenn ich mir das auch nicht eingestehen will – mein privilegierter Status als Weißer unter Nicht-Weißen.
Natürlich fand ich es sympathisch, wie herzlich, offen und spontan mich fast alle Afrikaner empfingen. Aber natürlich blieb mir auch nicht die Ambivalenz dieser Gefühle verborgen. Denn die Hobby-Ethnologen, die schwärmend aus Afrika zurückkommen, vergessen meistens zu erwähnen, dass Afrikaner einen auch verdammt grantig, verschlossen und berechnend empfangen können, wenn man nicht weiß ist und von der falschen ethnischen Gruppe kommt.
Nein, ich denke, der entscheidende Punkt, warum es mir so gut gefallen hat dort, hat mit viel prosaischeren Dingen zu tun. Warum ich es vermisse, hängt mit meiner Abenteuerlust zusammen, mit der Lust zu
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