Afrika Quer (German Edition)
überzeugend. Aus ihnen ergibt sich eine Konsequenz für die Betrachtung Afrikas, die Professor Lam jedoch offensichtlich überhaupt nicht bedacht hat.
In allen Teilen der Welt versuchen die Eltern, ihr Handwerk, ihre Wertvorstellungen, ihr Leben an ihre Kinder weiterzugeben – egal ob die Gesellschaft tribal organisiert ist oder nicht.
Aber wenn die Bauern an den einfachsten Harken festhielten, während es um sie herum schon so lange den Pflug gab, wenn all diese Gegenstände bis ins Detail, wenn die Beschneidung und andere soziale Konventionen mehrere Jahrtausende in den Kulturen Schwarzafrikas überlebt haben, wenn also mit einem Wort die Afrikaner hartnäckig an ihren Traditionen festhielten, obwohl sie so offensichtlich obsolet und für die Entwicklung hinderlich geworden waren, entsteht daraus das Bild von einem Afrika, das ein unwandelbarer, monolithischer Block war - und das offensichtlich über Jahrtausende.
Das hatte nur so sein können, weil die Afrikaner an ihren Traditionen festhielten, also ein Bewusstsein für deren Erhaltung entwickelt haben, das ziemlich ausgeprägt gewesen sein muss.
Aber das war noch lange nicht alles. Erstaunlich muss doch auch erscheinen, wer noch heute Träger dieses Bewusstseins ist. Nicht nur die alten Männer sind es, denen es nützt, sondern auch die Frauen und die jungen Leute, denen es nicht nützt, und die dagegen – so würde man zumindest denken - rebellieren müssten.
Träger dieses Bewusstseins ist in Afrika fast jeder in der Gesellschaft, eigentlich unabhängig von Alter, Geschlecht, sozialer Stellung, Bildung und auch davon, ob jemand am Tag in einem Büro mit neueren technischen Errungenschaften wie Telefon und Internet oder sonst irgendetwas arbeitet. Auch sie halten daran fest.
Und äußerst erstaunlich ist doch auch, was seitdem alles passiert ist in Afrika: Zum Beispiel die Kolonisierung des Kontinents. Und die vermeintlich damit einhergehende Einsicht, dass ich vorbereitet sein muss, dass ich Sorge treffen muss, wenn ich nicht von jemandem regiert werden will, der das nicht in meinem Interesse tut.
Dann wiederum die Befreiung von den Kolonialherren und die Unabhängigkeit in den sechziger und siebziger Jahren.
Wie viel Optimismus es damals gab in Afrika, welche Aufbruchstimmung, was Afrika alles erreichen wollte und – so schien es damals zumindest – auch konnte. Welches hoffnungsfrohe Bild Afrika damals von sich selbst machte, und welches wohlwollende Bild auch in den westlichen Medien vorherrschte, kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen.
Und dann folgten die vier Jahrzehnte unter souveräner Regie und die bittere Einsicht, wie anders es doch heute, am Anfang des 21. Jahrhunderts, gekommen ist.
Während es in den anderen Regionen um den Äquator fast nur noch Schwellenländer gibt, ist Afrika inzwischen zum Synonym für Hunger, Krieg und AIDS, für Katastrophen eben, geworden.
Und folgerichtig auch zum Interventionsgebiet der humanitären Helfer. Die großen Entwicklungsprojekte, wie Landstraßen, Dämme, Kanäle werden mit wenigen Ausnahmen von der Europäischen Union oder der Weltbank finanziert. Und die kleineren, wie Brunnen, Umweltprojekte und Krankenstationen von kleineren Hilfsorganisationen.
Auf internationaler Ebene sind die afrikanischen Staatschefs geblieben, was sie eigentlich von Anfang an waren: Bittsteller, deren Spielraum darin besteht, das eine gegen das andere Land der Richtigen Welt auszuspielen, weil es mehr Hilfe verspricht.
Eine erwähnenswerte Industrie gibt es außerhalb von Südafrika nicht. Und alles, was größer ist als ein Kiosk oder ein Marktstand wird fast ausschließlich vom Staat oder von Minderheiten, wie den indischstämmigen Asiaten in Ostafrika, den Libanesen in West- und Zentralafrika und den Weißen im südlichen Afrika betrieben.
Kann man nach diesen vier Jahrzehnten unter eigener Regie wirklich von staatlicher Souveränität, von Unabhängigkeit und von einer Emanzipierung sprechen, wenn die humanitären Helfer aus genau den Ländern kommen, die einmal die Kolonialmächte waren?
Sicher ist es so, dass in Afrika von der Kolonisierung, die auch ein Einbruch der Moderne in eine traditionelle Welt hätte sein können, nur die Erniedrigung geblieben ist. Deshalb ist der Weg in die vermeintlich westliche Entwicklung versperrt. Deshalb hat die monolithische, uralte Tradition einen neuen Aspekt und eine neue Rechtfertigung erfahren. Deshalb kämpfen viele afrikanische Intellektuelle noch immer gegen
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