herkommen. Lasst Agnes gehen und unsere Wege werden sich nie wieder kreuzen.“
„Was habt Ihr mit meiner Magd im Sinn?“
„Wir werden sie nach Hohenholte begleiten. Vielleicht sollten wir es den hohen Damen überlassen, euch mit Hilfe ihrer Advokaten die Aussteuer abzunehmen.“ Der Herr hatte die Augen zusammengekniffen und lauerte.
Dass seine Drohung Wirkung zeigte, erkannte er, als ihre Schultern herabsanken. Ebenfalls sah er, wie sie den Blick niederschlug. Die Wirtin überlegte, wie viel sie bieten musste, um nicht alles zu verlieren.
Agnes wartete atemlos und blickte immer wieder von einem zum anderen. Sie hatte nie darüber nachgedacht, ob sie Anspruch auf das Haus ihrer Eltern gehabt hätte. Immer war klar gewesen, dass sie hier lebte, arbeitete und Essen und ein Bett dafür bekam. War sie am Ende gar nicht mittellos? Wieder musterte sie die Wirtin. Schon oft hatte sie mitbekommen, wie hart diese mit Gästen und Händlern feilschte. Sie hat Haare auf den Zähnen, dachte sie gerade, als ihr Blick erwidert wurde. Unbewusst streckte sich Agnes, wollte sich nicht länger unterwürfig zeigen. Die beiden Frauen maßen sich stumm.
„Wie viel verlangt Ihr?“
Auch der Handelsherr ließ keine Regung erkennen, als er in seiner gefärbten Sprache vom Wert des Hauses, der Pacht und Agnes Arbeitsleistung sprach. „Habt Ihr je nach volljährigen Erben gesucht?“
„Es war Krieg, daran brauche ich Euch wohl kaum zu erinnern.“ Noch immer wand sich die Herrin und suchte nach einem Ausweg.
„Agnes, du sagtest, deine Tante sei bei den Augustinerinnen?“ Der Diener erinnerte sich an das Gespräch vom gestrigen Abend.
Entsetzt fuhr der Kopf der Wirtin herum. Agnes hielt ihrem Blick stand, obwohl sie sich nicht sicher war, dass ihre Tante noch lebte.
„Ja, die Schwester meiner Mutter ist ins Kloster eingetreten, ein Jahr bevor meine Eltern umkamen.“
„Dann sollten wir wohl die Advokaten der edlen Frauen bemühen. Wie viel sie wohl für die Nutzung des Hauses verlangen werden?“ Der Herr sprach scheinbar nachdenklich mit seinem Diener.
„Wartet!“ Ängstlich unterbreitete die Wirtin ein Angebot.
Schließlich wurde man sich einig, und Agnes beeilte sich, ihre wenigen Habseligkeiten zusammenzupacken. Sie wurde im Hof, beim Karren der Händler bereits erwartet. Der Diener half ihr hinauf und hieß sie, sich auf die Stoffballen auf der Ladefläche zu setzen.
Niemand sagte ein Wort, bis sie das Tor hinter sich gelassen hatten. Eilig verließen sie das Kirchspiel.
Historischer Hintergrund
Ausgangspunkt für diese fiktive Geschichte ist ein Überfall holländischer Truppen während des 30-jährigen Krieges (1618-1648). Bei deren Abzug wurden am 26. Juni 1626 43 Schöppinger Bürger am Obertor bzw. in der Lindenstraße getötet. Letztere hieß im Volksmund noch Jahrhunderte später „Totenstraße“.
Sowohl die Überlebende Agnes, wie auch ihr Retter oder die Wirtin sind fiktive Personen.
Zum Cover:
Der „Große Schutzengel“ steht seit genau 100 Jahren an der Straße, die durch das „Obertor“ aus Schöppingen herausführt. Auf diesem Weg kommt man nach Münster, wo 1648 der Westfälische Friede geschlossen wurde.
Impressum
Texte: © Copyright by Anne Lay
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Alle Rechte vorbehalten.
Tag der Veröffentlichung: 28.07.2013
http://www.neobooks.com/werk/23400-agnes-und-der-engel.html