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Ahoi Polaroid

Ahoi Polaroid

Titel: Ahoi Polaroid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo Swobodnik
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Agnes war eine Frau. Wenn auch momentan eine durchgeknallte, ziemlich aggressive Frau. Da verbat sich jegliche Art von Gewalt. Für Plotek. Das war dann wieder Sozialisation, Erziehung, Kindheit. Obwohl bei Plotek zu Hause auf der Schwäbischen Alb viel geschlagen wurde. Im Elternhaus, im Kindergarten, in der Schule. Da gab es mehr Hirnschnalzer und Backpfeifen als Vaterunser. Bis in die sechziger, siebziger Jahre wurde im Schwäbischen ordentlich hingelangt. Zuerst gab es die Ohrfeige, dann erst wurde einem gesagt, warum. Manchmal wurde auch gar nichts gesagt. Dafür gab es noch mehr Ohrfeigen. Heute würde man dazu »Kindesmissbrauch« sagen. Früher firmierte das unter »Erziehung«. Kein Wunder eigentlich, dass die Kinder dann irgendwann auch mal zurückschlugen. Trotz Religion, Katholizismus, und Wenn dich einer auf die rechte Wange. . . dem halte die linke und alles. Da hat die Linke gedacht: Leck mich. Und Molotowcocktails gebastelt. Vielleicht war die Jugend deshalb damals so für den Terrorismus empfänglich. Vielleicht konnte deswegen erst die südwestdeutsche Terrorszene entstehen, die dann in den siebziger und achtziger Jahren die Republik mit Hirnschnalzern und Backpfeifen malträtierte. Im übertragenen Sinne jetzt. Ensslin, Mohnhaupt, Klar: Da wurde eine ganze Generation herangeprügelt, nach der Maxime: Wenn die Argumente ausgehen, kommen die Watschen zum Einsatz.
    Was aber wie gesagt noch nie Ploteks Disziplin war. Schon gar nicht in der weiblichen Gewichtsklasse. Frauen konnte er nicht schlagen, auch wenn sie selbst hinlangten. Wie Agnes jetzt. Es war das erste Mal, dass sie zuschlug. So richtig. Hin und wieder hat sie Plotek beim Liebesspiel den Hintern versohlt, in die Brustwarzen gebissen oder den Rücken zerkratzt. Das war ihm, Hand aufs Herz, nicht unangenehm. Im Gegenteil. Aber das jetzt schon. Immer brutaler, immer heftiger schlug Agnes auf ihn ein. Als wäre er ein Strohsack und sie der Dreschflegel. Er hielt die Hände schützend über den Kopf, schloss die Augen und stellte sich tot. Er gab keinen Ton mehr von sich. Irgendwann würde sie schon aufhören, dachte er und gab sich den Schlägen hin, so wie man sich Physiotherapeuten hingibt. Oder Zahnärzten. Fatalistisch, emotionslos, desinteressiert. Mit nichts als der Hoffnung auf das Ende. Das kommen musste. Und dann auch kam.
    Völlig außer Atem, schnaufend, als hätte sie fünfzig Meter Festholz in Rekordzeit gehackt, ließ Agnes irgendwann die Fäuste sinken. Sie machte sich, selbst wie ein angeschlagener Boxer wankend, weinend davon. Zurück blieb Plotek. Noch immer auf dem Boden zusammengesunken. Ein Häufchen Elend. Windelweich geprügelt, mit blutender Nase, aufgeplatzter Lippe und Augenbraue, Schrammen im Gesicht und Schmerzen am ganzen Körper. Plotek kam sich vor wie ein alter ausrangierter Fernseher am Straßenrand. Der Bildschirm rissig, die Innereien heraushängend, auf dem Kopf stehend und ohne Fernbedienung. Bei Regen. In der Nacht.
    Eine ganze Nacht lang saß er auf dem Boden in der Küche und konnte sich nicht bewegen. Erst am Morgen schleppte er sich ins Wohnzimmer auf die Couch und blieb dort bewegungslos den ganzen Tag lang liegen. Schließlich ging es besser. Er rappelte sich wieder auf, ging ins Bad, betrachtete sich im Spiegel und erschrak.
    »Nicht kratzen, sonst wird es nur noch schlimmer!« Es war Susi hinter dem Tresen, die nach Ploteks Hand griff. Mir egal, dachte Plotek, soll es doch, und strich über die juckende, mittlerweile verschorfte Schramme im Gesicht. Soll es doch so schlimm werden, dass es schlimmer gar nicht mehr geht. Geht das überhaupt? Und was dann? Was, wenn die Steigerung an ein Ende gelangt? Wenn der Superlativ nicht mehr getoppt werden kann? Das Ende der Fahnenstange erreicht ist? Kommt dann der unwiderrufliche Absturz? Oder ein Zustand jenseits von oben und unten? Gut und böse? Und wie fühlt der sich dann an? So ähnlich wie jetzt vielleicht? Wahrscheinlich. Eine gefährliche Mischung aus Schmerz, Wut und Trauer. Eingebettet in Erschöpfung und Antriebslosigkeit. Bis hin zur völligen
    Gleichgültigkeit. Folge: Depression, Agonie, Stillstand. Katastrophe.
    Apropos: Katastrophen kündigen sich in der Regel an. Die tauchen nicht einfach so unvermittelt mit einem lauten »Hallo!« auf und hinterlassen Fernseher an Straßenrändern. Ein historisches Stadtarchivgebäude stürzt nicht einfach so ein, wenn nicht wochenlang vorher wie blöd darunter herumgebuddelt wird. Auch nicht das

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