Akte Weiß: Das Geheimlabor, Tödliche Spritzen
unendlich erschöpft. Ein zweiter Schuss pfiff nah an ihrer Wange vorbei. Mit letzter Kraft zog Kate sich hoch, ihr Schuh rollte den Hang hinab. Jeder Zentimeter wurde zur Qual. Ihre Muskeln schmerzten so sehr, dass sie glaubte, es nicht einmal zu spüren, falls die nächste Kugel sie traf. Doch sie schaffte es und ließ sich, einem Kollaps nahe, auf den schmalen Felssims rollen. Hier wollte sie liegen bleiben und schlafen. Doch es gab keine Pause, Susan war ihr auf den Fersen.
Kate erhob sich schwankend. Bei jedem Schritt stachen ihr jetzt Dornen in den nackten Fuß. Ansonsten war der Anstieg von hier aus leichter, und es waren nur noch wenige Meter bis zur Bergkuppe. Sie musste es einfach schaffen!
Kate schaffte es.
Ein neuer Schuss zerriss die Stille. Kate empfand nicht Schmerz, sondern Überraschung, als die Kugel dumpf in ihre Schulter schlug. Der Himmel drehte sich über ihr, dann kippte sie hintenüber und überschlug sich mehrfach. Ein HalekoaBusch, der seine Wurzeln tief in die Erde gerammt hatte, fing ihren Fall ab, bevor sie über einen Felsvorsprung in die Tiefe stürzen konnte.
Während Kate dort lag und sich klar zu werden versuchte, was geschehen war, hörte sie in der Ferne Sirenengeheul, das näher kam.
Benommen öffnete sie die Augen und sah einen Schatten über sich. Im schwindenden Tageslicht war Susans Kopf nur ein dunkler Umriss mit wehendem Haar. Wortlos richtete Susan die Waffe auf Kates Kopf. Die Sirene verstummte plötzlich, und Männer riefen etwas vom Tal herauf.
Kate richtete sich etwas auf und sagte ruhig: „Es besteht kein Grund mehr, mich zu töten, Susan. Die dort wissen auch von William.” Sie deutete mit dem Kopf in die Richtung der Stimmen. „Ich habe es ihnen gesagt.”
„Das kannst du nicht! Du warst dir nicht sicher!”
„Du brauchst Hilfe, Susan, und ich sorge dafür, dass du sie bekommst.”
Die Waffe zeigte noch immer auf ihren Kopf, und Kate wunderte sich, wie gelassen sie ihrem Tod ins Auge sah. Sie hatte um ihr Leben gekämpft und verloren. Jetzt konnte sie nur noch auf das Ende warten. Doch plötzlich hörte sie durch das Heulen des Windes jemanden ihren Namen rufen. Es war Davids Stimme!
In diesem Moment wusste sie, dass sie um jeden Preis leben und ihm all das sagen wollte, was sie aus Stolz verschwiegen hatte: dass das Leben zu wertvoll sei, um es mit Rachefeldzügen zu vergeuden. Und dass sie ihm helfen würde, seine Trauer zu überwinden, wenn er sie nur ließ.
„Bitte, Susan”, flüsterte sie. „Leg die Waffe weg!” Susan bewegte sich, ohne die Waffe loszulassen. Sie schien auf die Stimmen zu lauschen, die sich von der alten Pali Road näherten.
„Verstehst du denn nicht?” schrie Kate. „Wenn du mich tötest, nimmst du dir die letzte Chance, deinen Sohn zu behalten!”
Bei diesen Worten schien alle Kraft aus Susans Armen zu weichen. Langsam ließ sie die Waffe fallen und senkte wie in Trauer den Kopf. „Es ist sowieso zu spät”, flüsterte sie kaum hörbar. „Ich habe ihn schon verloren.”
Ein Chor von Rufen zeigte an, dass man sie entdeckt hatte.
Susan blickte auf die Ansammlung von Männern unten auf der Straße. „Es ist besser so”, sagte sie leise. „So behält er mich in guter Erinnerung, und das ist wichtig für ein Kind.”
Vielleicht war es eine plötzliche Windböe, die sie aus dem Gleichgewicht brachte, Kate konnte es nicht sagen. Jedenfalls schwankte Susan über dem Felsrand, und im nächsten Moment war sie fort.
Sie fiel geräuschlos, ohne den leisesten Schrei.
Nur Kate schluchzte auf, als sie auf dem kalten Fels zusammenbrach und die Welt ringsum sich zu drehen begann.
15. KAPITEL
D avid war als Erster bei Kate.
Er fand sie unterhalb der Bergkuppe auf einem blutverschmierten Fels liegend. Von Panik ergriffen warf er sein Jackett über sie. Du darfst nicht sterben! flehte er im Stillen. Hörst du mich, Kate? Du darfst nicht sterben! Er nahm sie in die Arme, und ihr Blut durchnässte sein Hemd. Immer wieder flüsterte er ihren Namen, als könnte er so verhindern, dass sie ihr Leben aushauchte. Er achtete kaum auf die Rufe der näherkommenden Retter. Kate fühlte sich so kalt an, er wünschte, ihr etwas von seiner Wärme und seinem Lebenswillen geben zu können. Schon einmal hatte er diesen Wunsch gehabt, als sein Kind in seinen Armen gestorben war.
Nicht noch einmal! flehte er im Stillen und zog sie fest an sich. Nimm sie mir nicht auch noch!
Er wiederholte diesen Wunsch im Geist, als die Retter kamen, sie den
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