Akte X
haben und hatten so in den dichten Regenwäldern unentdeckt überdauert.
Die Kreatur vor ihnen sah sie durchdringend an und beugte sich noch näher heran... Und der Moment dehnte sich zur Ewigkeit.
»Mulder, was sollen wir tun?«
Mulder begegnete dem brennenden, opalisierenden Blick des Untiers. Einen endlosen Augenblick starrten sie einander an, und über eine Kluft hinweg, die unendlich viel breiter war als jede gewöhnliche Artenschranke, blitzte für den Bruchteil einer Sekunde eine Verständigung zwischen ihnen auf.
Mulder wagte nicht zu atmen.
Scully umkrampfte ihre Hände so fest, daß die Knöchel weiß hervortraten. Cassandra Rubicon rang nach Luft und blinzelte die Kreatur aus glasigen Augen an.
Endlich löste sich die Spannung, und die gefiederte Schlange zog sich zurück, glitt gewandt ins Unterholz. Sie verschwand so rasch, wie sie gekommen war, und ließ einige zerknickte Zweige zurück, ein paar zu Boden taumelnde Blätter.
Im Wald wurde es wieder still.
»Ich glaube nicht, daß sie uns noch Schwierigkeiten machen werden«, flüsterte Mulder.
»Ich hoffe, Sie haben recht, Mulder.« Scully würgte den Kloß in ihrem Hals hinunter. »Aber lassen Sie uns hier verschwinden... bevor es sich eins von diesen Biestern anders überlegt.«
38
Jackson Memorial Hospital, Miami
Samstag, 12.17 Uhr
Frisch rasiert, sauber gekleidet und gut ausgeruht... es war kaum zu glauben. Mulder kam sich vor wie ein Verwandter auf Besuch, als er das Jackson Memorial Hospital in Miami betrat, in das Cassandra Rubicon mit ihrer Kopfverletzung eingeliefert worden war.
Jetzt, wo er in die Zivilisation zurückgekehrt war, schien ihm die dichte Wildnis des Dschungels mit ihren Insekten, Skorpionen, Schlangen und ihrem elenden Regenwetter Welten entfernt zu sein... und doch war alles erst zwei Tage her. Die Strapazen saßen ihm noch in den müden Muskeln und seinen arg geschundenen Knochen.
Mit Hilfe der digitalen Karte des Geländefahrzeugs hatten Scully und er es geschafft, nach Westen zu einer der gepflasterten Landstraßen des Staates Quintana Roo zu navigieren. Dann war Mulder mit halsbrecherischer Geschwindigkeit die Straßen entlanggedonnert und hatte mit seinem Teufelsritt mehrere Indios in bunt bestickten Trachten, die am frühen Morgen zu Fuß unterwegs waren, in heilloses Entsetzen gestürzt.
Mit Hilfe eines kleinen Verbandkastens, den sie im Geländefahrzeug fand, hatte Scully Cassandras schlimmste Verletzungen provisorisch versorgt, indem sie ihr Schmerzmittel verabreichte und die Wunden desinfizierte. Mehr konnte sie nicht tun – Cassandra brauchte ein richtiges Krankenhaus.
Schließlich waren sie von einer mexikanischen Polizeistreife angehalten worden, und der Beamte wollte wissen, woher das amerikanische Militärfahrzeug kam. Statt einer Antwort hatte Scully höflich darum gebeten, zur nächsten amerikanischen Botschaft gebracht zu werden.
Während der rumpelnden Fahrt durch den unwegsamen Urwald hatten sie im Staufach Fleischkonserven und Wasserflaschen gefunden. Cassandra hatte weder sprechen noch etwas essen können, und sie schien von den Torturen so mitgenommen zu sein, daß Mulder ernsthaft um ihr Erinnerungsvermögen bangte... und Cassandra war seine einzige Zeugin, um seine Geschichte von der Rettungsaktion eines außerirdischen Raumschiffs zu bestätigen – er konnte nicht damit rechnen, unter den Angehörigen der Kommandoeinheit einen aussagebereiten Mann zu finden. Scully und Mulder aßen jedoch ein paar von den Rationen, und als sie aufgegriffen wurden, waren sie wieder einigermaßen bei Kräften und bereit, die Heimreise anzutreten.
Cassandra war in einer mexikanischen Unfallstation behandelt worden, während Mulder die nötigen Telefonate erledigte und Scully sich um den ausgedehnten Papierkram kümmerte. Als sie in Miami eintrafen, war Cassandra zur Beobachtung und Erholung ins Jackson Memorial eingeliefert worden.
Während seine Schritte durch den Flur hallten, fragte sich Mulder, ob die Tochter des Archäologen ihn überhaupt erkennen würde – jetzt, nachdem er sich gewaschen und umgezogen hatte. Sie hatte ihn noch nie in seinem vorschriftsmäßigen Anzug mit weißem Hemd und Krawatte gesehen.
Er drückte auf den Aufzugknopf und fuhr hinauf zu Cassandras Krankenzimmer. Schmatzend schlossen sich die schweren Türen hinter ihm und versiegelten ihn allein in der kleinen Kabine... und plötzlich überfiel ihn ein unerwartetes Grauen, als er an Carlos Barreio dachte, der als Gefangener der
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