Akunin, Boris - Pelagia 01
sich nicht geirrt hatte, als er Pelagia seinerzeit zur Nonnenweihe seinen Segen erteilt hatte. Er hatte gar nicht anders gekonnt, denn das Mädchen war hindurchgegangen durch großes Leid und schwere Prüfungen, denen nicht jede Seele standgehalten hätte, aber gar zu wenig nonnenhaft war ihr Benehmen: übermäßig lebhaft, quirlig, neugierig und nicht eben sittsam in ihren Bewegungen. Du alter Esel bist doch genauso, schalt sich der Bischof und seufzte wieder, noch betrübter.
Als die Nonnen sich aufstellten, um vom Bischof je einen Apfel zu empfangen, machte er feine Unterschiede: Der einen reichte er die Hand zum Kusse, der anderen strich er sacht über den Kopf, der dritten lächelte er einfach zu, doch mit der letzten, Pelagia, kam es zu einem Zwischenfall. Ungeschickt, wie sie war, trat sie dem Bischof auf den Fuß, prallte mit einer Entschuldigung zurück, warf dabei die Hand hoch und stieß mit dem Ellbogen gegen die Silberschale. Es polterte, die Schale klirrte gegen den Steinfußboden, die roten Äpfel kullerten erfreut nach allen Seiten, und die Bengels aus der geistlichen Schule, denen gar nichts zustand, weil sie Frechdachse und Wildfänge waren, schnappten sich die Ananasäpfel und ließen nichts übrig für die Würdigen, Verdienten, die hinter Pelagia warteten, dass sie an die Reihe kämen. So ging das immer mit ihr, sie war keine Nonne, sondern ein sommersprossiges Missverständnis.
Mitrofani mümmelte, verzichtete aber auf einen Verweis, denn es war im Gotteshaus und an einem Kirchenfest.
Er sagte nur, indes er sie segnete:
»Bedeck die Strähne, das gehört sich nicht. Und komm in die Bibliothek, ich will mit dir sprechen.«
»Ein Esel bildete sich ein, er wäre ein Traber – er blähte die Nüstern und schlug mit dem Huf die Erde.« (So begann der Bischof das Gespräch.) » › Ich überhole alle! ‹ , schrie er. › Ich bin der Schnellste, der Feurigste! ‹ Und er schrie es so überzeugend, dass alle ringsum ihm glaubten und sprachen: › Unser Esel ist gar kein Esel, sondern ein Argamak, ein reinblütiger Traber. Wir müssen ihn zum Rennen schicken, damit er alle Preise gewinnt. ‹ Fortan hatte der Esel kein Leben mehr, denn kaum gab es irgendwo ein Rennen, bekam er sogleich den Zügel um und musste laufen. › Los, Langohr, lasse uns nicht im Stich! ‹ So ein Leben hatte der Esel.«
Die Nonne, an die Gleichnisse des Bischofs längst gewohnt, hörte konzentriert zu. Sie war beim ersten Hinsehen einfach ein junges Mädchen mit einem reinen, hübschen ovalen Gesicht, das für sie einnahm und gar ein bisschen naiv wirkte, doch dieser Eindruck täuschte, er entstand durch ihre Stupsnase und die erstaunt gehobenen Augenbrauen, doch die runden braunen Augen hinter den ebenso runden Brillengläsern blickten prüfend, und es war ihnen anzusehen, dass die junge Frau einiges erlebt und erlitten und über das Durchlebte nachgesonnen hatte. Die jugendliche Frische kam von ihrer weißen Haut, wie Rothaarige sie haben, und von dem unausrottbaren rötlichen] Gesprenkel ihrer Sommersprossen. i
»Also, Pelagia, was will dieses Gleichnis besagen?«
Die Nonne überlegte. Sie ließ sich Zeit mit der Antwort. Ihre kleinen weißen Hände griffen unwillkürlich nach dem Leinenbeutel, der an ihrem Gürtel hing. Der Bischof wusste, dass sie mit dem Strickzeug in der Hand leichter nachdenken konnte, und sagte:
»Du darfst gerne stricken.«
Die spitzen Stahlnadeln klapperten flink drauflos, und Mitrofani verzog das Gesicht, als er daran dachte, welch scheußliche Werke diese scheinbar geschickten Finger hervorbrachten. Zum Heiligen Osterfest hatte die Schwester ihm einen weißen Schal überreicht, auf dem die Buchstaben CE (Christ ist erstanden) so schief eingestickt waren, als hätten sie das Ende der Fasten schon tüchtig gefeiert.
»Für wen wird das?«, fragte er argwöhnisch.
»Für Schwester Emilia. Ein Gürtel. Darauf sticke ich ein Muster aus Schädeln und Knochen.«
»Ach so«, sagte er beruhigt. »Also, was bedeutet das Gleichnis?«
»Ich denke so.« Pelagia seufzte. »Es gilt mir armer Sünderin. Mit dieser Allegorie wollt Ihr sagen, Vater, dass aus mir solch eine Nonne wird wie aus dem Esel ein Rennpferd. Und dieses unbarmherzige Urteil sprecht Ihr über mich, weil ich in der Kirche die Äpfel runtergeworfen habe.«
»Hast du sie mit Absicht runtergeworfen? Um in der Kirche Unruhe zu stiften? Gestehe.« Mitrofani sah ihr in die Augen, schämte sich aber, als er darin den sanften Vorwurf
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