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Akunin, Boris - Pelagia 01

Akunin, Boris - Pelagia 01

Titel: Akunin, Boris - Pelagia 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelagia und die weissen Hunde
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Zikadengezirpe weitere Gründe für die Schlaflosigkeit lieferte. Und so furchte er die hohe Stirn in drei Längsfalten, so runzelte er die dichten schwarzen Augenbrauen.
    Gut sah er aus, der Sawolshsker Bischof, sein Gesicht war nicht nur ebenmäßig, sondern richtig schön, wie es nicht einem Seelenhirten anstand, sondern eher einem altrussischen Fürsten oder einem byzantinischen Heerführer. Er hatte langes graues Haar, sein ebenfalls langer seidiger Vollbart war noch zur Hälfte schwarz, und sein Schnurrbart hatte kein einziges silbriges Haar. Sein Blick war scharf, zumeist sanft und klar, aber umso fürchterlicher, wenn er sich vor Zorn trübte oder Blitze schleuderte. In solchen bösen Momenten waren die strengen Falten längs der Backenknochen und die Krümmung der großen, rassigen Adlernase deutlicher ausgeprägt. Der Bischof hatte eine voll tönende Bassstimme, die für ein herzliches Gespräch ebenso taugte wie für eine flammende Predigt und für eine Staatsmännische Rede auf der Versammlung des Heiligen Synod.
    In jungen Jahren hatte Mitrofani eine asketische Lebensweise gepflegt. Er hatte einen härenen Priesterrock getragen, sein Fleisch durch unablässiges Fasten abgetötet und soll sogar unterm Hemd eiserne Ketten geschleppt haben, aber von derart rauen Eigenarten hatte er sich längst abgewandt, denn er erachtete sie als eitel, unwesentlich und gar schädlich für die wahre Gottesliebe. Indes er in die Jahre kam und Weisheit gewann, fand er zu Nachsicht gegenüber seinem Fleisch und dem anderer, und in seiner Alltagsgewandung bevorzugte er nun Leibröcke aus dünnem Tuch von dunkelblauer oder schwarzer Farbe. Gelegentlich, wenn die bischöfliche Autorität es erforderte, hüllte er sich in eine lila Soutane aus kostbarstem Samt und ließ die Paradekutsche mit sechs Pferden bespannen, und auf dem hinteren Wagentritt mussten zwei stattliche bärtige Diener stehen, in betressten grünen Kutten, die wie Livreen aussahen.
    Es fanden sich natürlich auch welche, die den Bischof insgeheim wegen seiner sybaritischen Neigungen und seiner Vorliebe für Prunk rügten, aber selbst sie verurteilten ihn nicht zu streng, eingedenk seiner hohen Abstammung, denn Mitrofani war von klein auf an Luxus gewöhnt und maß ihm daher keine große Bedeutung bei – er geruhte nicht, ihn wahrzunehmen, wie sein Schriftführer, Vater Serafim Usserdow, es ausdrückte.
    Geboren war der Bischof von Sawolshsk in einer angesehenen Höflingsfamilie, er absolvierte das Pagenkorps und kam von dort zur Gardekavallerie (das war noch unter der Herrschaft von Zar Nikolaus Pawlowitsch). Er führte das für die jungen Leute seiner Kreise übliche Leben, und wenn er sich durch irgendetwas von seinen Altersgenossen unterschied, so allenfalls durch einen gewissen Hang zum Philosophieren, was übrigens bei gebildeten und feinsinnigen Jünglingen nicht gar so selten ist. Im Regiment galt der »Philosoph« als guter Kamerad und ordentlicher Kavallerist, die Vorgesetzten liebten und förderten ihn, und mit dreißig wäre er womöglich schon zum Oberst aufgerückt, doch da begann der Krimkrieg. Gott weiß, was für Erleuchtungen dem späteren Sawolshsker Bischof in seiner ersten Kampfhandlung, einem Reiterscharmützel bei Balaklawa, kamen, doch nachdem er von der Säbelwunde genesen war, mochte er keine Waffe mehr in die Hand nehmen. Er quittierte den Dienst, nahm Abschied von seinen Angehörigen und war alsbald auf Probezeit in einem weit abgelegenen Kloster. Doch auch jetzt noch, besonders wenn Mitrofani anlässlich eines der zwölf Hauptfeiertage in der Kirche eine Messe las oder wenn er einer Konsistorialversammlung präsidierte, war gut vorstellbar, wie er seinen Ulanen schallend zurief: »Schwadron, Säbel frei! Marsch, marsch!«
    Ein außergewöhnlicher Mensch bewährt sich auf jedem Tätigkeitsfeld, und Mitrofani verblieb nicht lange in der Anonymität des weit abgelegenen Klosters. War er früher der jüngste Schwadronskommandeur einer leichten Kavalleriebrigade gewesen, so war er jetzt der jüngste orthodoxe Bischof. Er wurde zuerst als Vikar, dann als Oberpriester des Gouvernements zu uns nach Sawolshsk geschickt, und er legte so viel Weisheit und Eifer an den Tag, dass er alsbald auf einen hohen Kirchenposten in die Hauptstadt berufen wurde. Viele sagten ihm für die nahe Zukunft schon die hohe weiße Metropolitenkappe voraus, doch er verblüffte alle, indem er wieder von der glatt gefahrenen Straße abbog, um Rückkehr in unsere

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