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Akunin, Boris - Pelagia 01

Akunin, Boris - Pelagia 01

Titel: Akunin, Boris - Pelagia 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelagia und die weissen Hunde
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las. »Schon gut, ich mein’s nicht so. Aber mein Gleichnis gilt nicht dir, du hast es nicht erkannt. Wie sind wir Menschen bloß eingerichtet, dass wir jedes Ereignis und jedes gesagte Wort erst mal auf uns selbst beziehen? Das ist Hoffart, meine Tochter. So bedeutsam bist du nicht, dass ich auf dich ein Gleichnis ersinne.«
    Mit plötzlichem Verdruss stand er auf, verschränkte die Hände auf dem Rücken und ging auf und ab in der Bibliothek, die es verdient, ihr einige Aufmerksamkeit zu schenken.
    Die bischöfliche Bibliothek befand sich in idealer Ordnung, sie wurde geleitet von dem überaus fleißigen Sekretär Usserdow. In der Mitte der längsten Wand, die keine Fenster und Türen hatte, stand ein Schrank mit Arbeiten zur Theologie und Patristik, darin wurden Schriften in Kirchenslawisch, Latein, Griechisch und Althebräisch aufbewahrt. Links davon waren die Schränke der Hagiographie mit den Viten der Heiligen, und zwar sowohl der orthodoxen als auch der römisch-katholischen; rechts Arbeiten zur Kirchengeschichte, Liturgik und Kanonik. Einen besonderen Platz nahm ein geräumiger Schrank mit] Traktaten zur Asketik ein, eine Reminiszenz an die frühere Neigung des Bischofs. Dieser Schrank enthielt auch höchst kostbare Raritäten wie die Erstausgaben der »Seelenburg« der »Theresia von Avila« und der »Zierde der geistlichen Hochzeit« des Jan van Ruysbroeck des Verzückten. Auf einem langen Tisch quer durch den ganzen Raum stapelten sich gebundene Jahrgänge von russischen und ausländischen Zeitungen und Zeitschriften, und den Ehrenplatz nahmen die »Sawolshsker Episkopatsnachrichten« ein, eine Gouvernementszeitung, die der Bischof persönlich redigierte.
    Die nichtreligiöse Literatur der verschiedensten Richtungen, von Mathematik und Numismatik bis zu Botanik und Mechanik, stand in festen Eichenregalen, welche diel drei übrigen Wände des Bibliotheksraums füllten. Das Einzige, was zu lesen der Bischof vermied, weil er es für nutzlos hielt, war die Belletristik. Der himmlische Schöpfer habe hienieden hinlänglich Wunder, Rätsel und einzigartige Geschichten ersonnen, pflegte der Bischof zu sagen, und so stehe es einem Sterblichen nicht an, sich eigene Welten und Spielzeugmenschen auszudenken, denn gegen Gottes Erfindungen sei ohnehin alles ärmlich und langweilig. Schwester Pelagia freilich widersprach dem Bischof und berief sich darauf, dass Gott der Herr dem Menschen den Wunsch nach Schöpfertum in die Seele gesenkt habe, und ER wisse am besten, ob das Schreiben von Romanen sinnvoll und nützlich sei. Allein, dieser theologische Disput hatte schon lange vor Mitrofani und seiner geistlichen Tochter begonnen, würde auch nicht bei ihnen enden.
    Der Bischof blieb vor Pelagia stehen, die demütig darauf wartete, dass die nicht ganz begreifliche Gereiztheit ihres geistlichen Lehrers schwände, und fragte plötzlich:
    »Warum glänzt deine Nase? Hast du wieder deine Sommersprossen mit Löwenzahnauszug bekämpft? Ziemt es wohl einer Braut Christi, sich mit solchen Eitelkeiten abzugeben? Du bist doch eine kluge Frau. Der heilige Diadochos lehrt: › Eine die ihr Fleisch schmückt ist schuldig der Körperliebe, welche ist ein Zeichen der Ungläubigkeit. ‹ «
    Aus dem scherzhaften Ton des Bischofs schloss Pelagia, dass das Wölkchen verflogen sei, und antwortete beherzt: »Euer Diadochos, Bischöfliche Gnaden, ist ein bekannter Dunkelmann. Er will sogar verbieten, sich zu waschen. Wie heißt es doch in einer seiner Schriften? › Dem Bade bleibe man fern um der Enthaltsamkeit willen, denn unser Körper erschlafft wohlig in der Feuchte. ‹ «
    Mitrofani zog die Brauen zusammen.
    »Ich auferlege dir hundert Verneigungen bis zum Erdboden, damit du nicht wieder unehrerbietig über den alten Märtyrer sprichst. Und mit dem Schmücken des Fleisches hat er Recht.«
    Pelagia, verlegen geworden, begann sich wortreich zu rechtfertigen: Sie bekämpfe die Sommersprossen, Gott behüte, nicht wegen der körperlichen Schönheit, sondern einzig aus Anstandsgründen – eine Nonne mit Sommersprossen auf der Nase, wie sehe denn das aus?
    »Na, na.« Der Bischof schüttelte ungläubig den Kopf und zauderte noch immer, auf die Hauptsache zu kommen.
    Der Übergang von Keckheit zu Demut und umgekehrt vollzog sich bei Schwester Pelagia stets blitzartig. So auch jetzt – mit funkelnden Augen fragte sie nun schon ganz kühn:
    »Euer Bischöfliche Gnaden, Ihr habt mich doch wohl nicht wegen der Sommersprossen herbestellt?«
    Und

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