Alarm in Sköldgatan
Erfreuliches von seinem Sohn berichten konnte und die Mutter ihm die Wahrheit nicht abgenommen hätte, versuchte er dieses Thema zu umgehen. Als er von Ingrids letzten Fortschritten in der Schule berichtet hatte, fragte seine Mutter jedoch plötzlich: »Will Rolf auch Polizist werden, wenn er mit der Schule fertig ist?«
»Das glaub ich nicht. Außerdem ist er ja noch nicht mal dreizehn. Noch ist es zu früh, sich deswegen Sorgen zu machen.«
»Aber wenn er das vorhat, mußt du es ihm ausreden. Ich habe nie verstanden, warum du ausgerechnet zur Polizei wolltest. Und heutzutage muß der Beruf eher noch schwieriger geworden sein. Was hat dich eigentlich zu diesem Entschluß veranlaßt, Martin?«
Martin Beck sah sie erstaunt an. Er wußte, daß sie seinerzeit vor vierundzwanzig Jahren nicht mit seiner Wahl einverstanden gewesen war, aber es wunderte ihn, daß sie jetzt wieder davon anfing. Vor nicht ganz einem Jahr war er Kommissar bei der Reichsmordkommission geworden und arbeitete unter ganz anderen Umständen als damals als junger Streifenbeamter.
Er lehnte sich auf seinem Stuhl nach vorn und streichelte ihre Hand. »Ich hab es doch jetzt gut, Mama«, antwortete er. »Seit langer Zeit sitze ich fast nur noch am Schreibtisch. Aber du hast recht, ich hab mir oft die gleiche Frage gestellt.« - Das war richtig. Er hatte sich oft gefragt, warum er Polizeibeamter geworden war.
Er konnte natürlich zur Antwort geben, daß es damals im Krieg eine günstige Gelegenheit gewesen war, vom Militärdienst freigestellt zu werden. Zwei Jahre hatte man ihn wegen seiner Lunge zurückgestellt. Aber dann war er für voll tauglich erklärt worden, was seine Berufswahl wesentlich beeinflußt hatte.
1944 wurden Kriegsdienstverweigerer nicht anerkannt. Viele von denen, die sich auf die gleiche Weise vom Bereitschaftsdienst gedrückt hatten, wechselten später den Beruf, aber er war dabeigeblieben und mittlerweile zum Kommissar aufgestiegen. Das hätte eigentlich bedeuten müssen, daß er ein guter Polizeibeamter war, aber er selbst war sich da nicht so sicher. Es gab genügend Beweise dafür, daß hohe Stellen im Polizeiapparat nicht mit den besten Männern besetzt waren. Er war sich nicht mal sicher, ob er ein guter Beamter sein wollte, wenn das Pflichtbesessenheit und ein engstirniges Einhalten der Vorschriften beinhaltete. Eine Bemerkung schoß ihm durch den Kopf, die Lennart Kollberg vor gar nicht langer Zeit einmal gemacht hatte:
»Gute Bullen gibt's genug. Dämliche Kerle, beschränkte, kernige, aufgeblasene, selbstbewußte Typen, die alle gute Beamte sind. Es wäre besser, wenn es bei der Polizei mehr gute Männer gäbe.«
Seine Mutter begleitete ihn zum Ausgang, und sie gingen eine Weile im Park spazieren. Im Schneematsch kamen sie nur langsam voran, außerdem wehte ein eisiger Wind, der an den kahlen Ästen der hohen Bäume zerrte. Nach zehn Minuten brachte er sie zur Treppe zurück und küßte sie auf die Wange. Am Fuß des Hügels drehte er sich noch einmal um und sah sie winkend vor dem Eingang stehen. Klein und grau.
Mit der U-Bahn fuhr er zurück zum Polizeigebäude in der Västbergaalle. Auf dem Weg zu seinem Arbeitszimmer schaute er in Kollbergs Zimmer. Kollberg war Erster Kriminalassistent und außerdem Martin Becks nächster Untergebener und bester Freund. Das Zimmer war leer. Er blickte auf seine Armbanduhr. Halb zwölf. Es war nicht schwer, sich auszurechnen, wo Kollberg sich befand. Martin Beck überlegte sogar einen Augenblick, ob er nicht hinuntergehen und ihm bei der Erbsensuppe Gesellschaft leisten sollte, aber dann dachte er an seinen empfindlichen Magen. Der machte ihm nach den vielen Tassen Kaffee, die seine Mutter ihm aufgenötigt hatte, schon genug zu schaffen.
Auf seiner Schreibunterlage fand er einen kurzen Bericht über den Mann, der am Morgen des gleichen Tages Selbstmord begangen hatte.
Er hieß Ernst Sigurd Karlsson und war sechsundvierzig Jahre alt. Er war ledig, und die nächste Verwandte war eine alte Tante in Boräs. Seit Montag war er nicht an seinem Arbeitsplatz bei einer Versicherungsgesellschaft erschienen. Grippe. Seinen Arbeitskollegen zufolge war er ein Einzelgänger und hatte, soweit das bekannt war, keine Freunde. Die Nachbarn hatten ausgesagt, daß er einsilbig und ruhig war, regelmäßig zu bestimmten Zeiten kam und ging und nur selten Besuch empfing. An Hand von Schriftproben ließ sich beweisen, daß er selbst den Namen Martin Beck auf den Telefonblock geschrieben hatte. An
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