Alarmstufe Rot
er.”
„Sie überlegen es sich, ja?”
„Wir werden sehen.”
Mit hängenden Schultern, also nicht gerade in gehobener Stimmung, humpelte er davon.
Doch sie war fest entschlossen, ihn wieder aufzurichten, und wenn er sich darauf einließ, dass sie ihn zu Hause behandelte, wäre das zumindest ein Anfang. Sie würde alles zu seiner Genesung tun und ihn danach allein lassen, vielleicht mit dem Glücksgefühl, ihm ein wenig geholfen zu ha ben. Doch die Furcht beschlich sie, dass es nicht leicht sein wür de, sich von Dr. Granger wieder abzuwenden, vor allem dann nicht, wenn er nicht geheilt sein sollte.
Aber solche Gefühle durfte sie sich nicht gestatten. Eine emo tionale Beziehung zu einem Patienten war nicht nur streng tabu, sie würde damit auch ihre innere Ausgeglichenheit gefährden. Es kam also nicht in Frage, dass sie ihr Herz an ihn hängte.
Gewiss, rein technisch betrachtet brauchte Dr. Jared Granger sie, doch gefühlsmäßig würde sie sich nie wieder auf einen Mann einlassen.
Jared Granger saß wartend in Nick Kempners Praxis und studierte seine steife Hand, die verformten Finger. Er verabscheute die mitleidigen Blicke der Kollegen und Freunde. Und er verabscheute sein Selbstmitleid.
Noch nie hatte er vor einer solchen Herausforderung gestanden. Weder das Studium noch die praktischen Jahre seiner Aus bildungszeit hatten ihm dies abverlangt. Er musste es einsehen, als Chirurg war er erledigt. Ebenso als Liebhaber. Jedenfalls vorerst.
Das Eingeständnis linderte nicht den Schmerz, nicht den Zorn. Es trug nur zu seiner Bitterkeit bei.
Zudem konnte er sich kaum an seinen letzten frohen Tag erinnern, selbst was die Zeit vor dem Unfall betraf. Vor drei Wochen hatte er sich auf seine Farm zurückgezogen, um zu sich zu finden. Doch die Schuldgefühle wegen des Todes einer bestimmten Patientin hatten ihn auch dort nicht losgelassen, und so hatte er beim Mähen nicht weiter auf den Draht geachtet, der sich in seinem Traktor verfangen hatte. Unbedacht hatte er versucht, ihn mit bloßer Hand aus dem laufenden Gewinde zu zerren. Es hatte einen heftigen Rückstoß gegeben, die Sense war ihm tief ins Handgelenk gefahren, er war gestürzt und hatte sich das Bein ge brochen.
Diese paar Sekunden der Unaufmerksamkeit hatten seiner Laufbahn ein Ende gesetzt vermutlich für immer.
Wieder dachte er an den Tod der zwölfjährigen Kayla Brown, den eigentlichen Grund für seinen Aufenthalt auf der Farm. Ihr Körper hatte das neue Herz abge stoßen, und während sie auf ein weiteres Spenderorgan gewartet hatte, hatte sie nach langen Kämpfen aufgegeben. Er hatte das Mädchen mit dem sonnigen Gemüt, das selbst im Angesicht des Todes für jeden ein Lächeln gehabt hatte, nicht retten können.
Seine Probleme waren unerheblich im Vergleich zu dem, was Kayla ausgestanden hatte.
Was war schon dabei, wenn er eine Stunde brauchte, um sich die Zähne zu putzen, sich anzuziehen, ein Glas Milch einzugießen? Doch darüber sprach er nicht, niemand würde es verstehen.
Plötzlich stand ihm Brooke Lewis vor Augen - mit ihren wilden dunklen Locken, den großen braunen Augen, dem ungeküns telten Lächeln und ihrer Hartnäckigkeit. Obwohl er es nicht zugeben mochte, ihm gefielen ihr undamenhaftes Aussehen und ihre direkte Art. Sie sah in ihm nichts weiter als einen Patienten. Er fand das erfrischend, zumal die meisten Leute ihn für ein unfehlbares Wesen ohne menschliche Schwächen hielten. Niemand kannte den wahren Jared Granger, denn er ließ keinen an sich heran. Er fürchtete, die hohen Erwartungen nicht erfüllen zu können.
Die Tür ging auf, und Nick Kempner kam herein, der beste Orthopäde weit und breit und Jareds Freund. „Was gibt’s, Granger?”
„Nicht viel.”
Nick streifte den Kittel ab und warf ihn aufs Sofa, bevor er sic h in seinen Sessel setzte.
„Entschuldige die Verspätung, ich wurde ans Telefon gerufen.”
„Kein Problem.” Er hatte bis auf Arzttermine und die gefürchtete Physiotherapie ohnehin nichts vor, genau wie an den anderen Tagen.
Nick faltete die Hände und setzte eine professionelle Miene auf. „Der Anruf kam von deiner neuen Therapeutin.”
Jared wappnete sich für eine weitere Standpauke. „Ach ja?”
„Ja. Sie sagte, obwohl du, ich zitiere: ,ein wenig unkooperativ’ seist, würde sie damit fertig werden. Sie sprach davon, dich zu Hause zu behandeln. Was hältst du davon?”
Die Frau war wirklich zäh. „Diese Übungen bringen mir überhaupt nichts.”
„Weil du dich nicht
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