Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung
Samenkorn, die Saat, aus der er geboren war. Nun wollte er sie der Erde zurückgeben.
Er kniete nieder, legte den Samen beiseite und begann, ein Loch zu graben. Als es so tief war, dass es ihm bis zum Ellbogen reichte, richtete er sich auf und griff nach dem Korn. Dann schaute er über die Schulter zu Ni’lahn, die sein Tun mit mütterlichem Stolz beobachtete. Sie nickte ihm lächelnd zu.
Der Junge ließ den Samen in das Loch fallen und schaufelte langsam mit beiden Händen Erde darüber. Elena hörte ihn schniefen und sah, wie er sich über die Augen wischte. Die beiden der Junge und sein Samen waren so lange eins gewesen, dass es Rodricko sicher nicht leicht fiel, dieses Ritual zu vollziehen.
Als er fertig war, stand er auf und betrachtete sein Werk.
Ni’lahn drängte freundlich: »Nur zu, Rodricko. Versuche es.«
Er drehte sich um und sah seine Mutter mit tränenfeuchten Augen an.
»Nur zu, mein Liebling.«
Er nickte, wandte sich wieder dem Pflanzloch zu und hielt die Hand darüber.
Elena wagte nicht zu atmen. Den anderen erging es ebenso. Ni’lahn hatte die Hände in stummem Gebet vor der Brust gefaltet. An dieser Stelle hatte der erste Koa’kona sein Ende gefunden.
Als die Insel versank, hatte das Salzwasser seine Wurzel zerstört. Er’ril hatte Ni’lahn gewarnt. Der Boden sei noch nicht reif für den ersten Koa’kona der neuen Generation. Aber Ni’lahn war überzeugt, es sei ein gutes Zeichen, dass der Junge hier auf der Insel seine Geburtssaat abgeworfen hatte. »Noch nie zuvor wurde meinem Volk ein Knabe geboren«, hatte die Nyphai erklärt. »Er ist etwas Besonderes, und deshalb muss auch sein Baum etwas Besonderes sein. Vielleicht gedeiht er gerade da, wo kein anderer überleben könnte.«
Der Junge hielt immer noch die Hand über die neu gepflanzte Saat. Und dann erstrahlte er langsam in einem grünlichen Licht, als fiele der Sonnenschein durch unsichtbare Blätter.
Ni’lahn stieß einen erstickten Laut aus halb Schluchzen, halb Jauchzen.
Zwischen den Füßen des Jungen schob sich ein kleiner Schössling aus der Erde und strebte dem Sonnenlicht entgegen. Er war grün, gesund und unverdorben.
Er’ril wandte sich der Nyphai zu. »Er hat Wurzeln geschlagen«, sagte er und sah sie mit großen, erstaunten Augen an.
Sie legte den Arm um ihn und drückte ihn an sich.
Die anderen brachen in lauten Jubel aus. Der kleine Junge drehte sich langsam im Kreis. Ein breites Lächeln lag auf seinem Gesichtchen. Ni’lahn lief auf ihn zu, nahm ihn in die Arme und küsste ihn auf die Wange.
Elena sah den beiden zu und ließ sich in Er’rils Arme sinken. Der grüne Schössling, der aus der dunklen Erde hervorlugte, war ein Sinnbild für so vieles: die Wiederauferstehung des Lebens, den Beginn eines neuen Zyklus. Der Anblick trieb ihr die Tränen in die Augen.
»Was hast du?« fragte Er’ril.
Sie konnte nicht antworten. Ihr Herz war zu voll. Sie sah ihre Gefährten an. Alle hatten Verletzungen davongetragen, aber sie hatten überlebt, und das feierten sie jetzt. Für sie, für sie alle hatte der grüne Keim noch eine weitere Bedeutung.
Er war ein Symbol der Hoffnung.
Mit diesem Augenblick der Hoffnung will ich diesen Abschnitt von Elenas Geschichte beenden, einer Hoffnung, die sich auf die zarten Blätter eines jungen Pflänzleins gründet. Denn ich bin beim letzten Kapitel meiner Geschichte angekommen. Noch eine Schlacht liegt vor uns, noch eine Chance. Das nächste Buch wird alles enthüllen, was bisher verborgen blieb. Es wird Wahrheiten aufleuchten lassen und Lügen widerlegen, und es wird mit einem einzigen Wort viele Herzen brechen.
Also genießen Sie diesen kurzen Augenblick des Glücks. Kosten Sie ihn aus wie einen Tropfen vom edelsten Wein. Aber vergessen Sie eines nicht: Nichts währt ewig.
Nicht der Wein, nicht die Hoffnung, nicht die Liebe … nicht einmal eine Hexe.
Danksagung
Mein Dank geht an alle Freunde und Angehörigen, die mir geholfen haben, dieses Buch in seine derzeitige Form zu bringen und ihm den letzten Schliff zu geben, insbesondere an den engsten Kreis von Arbeitssüchtigen: Chris Crowe, Michael Gallowglas, Lee Garrett, Dennis Grayson, Penny Hill, Debbie Nelson, Dave Meek, Jane O’Riva, Chris ›the little‹ Smith, Judy und Steve Prey, Carolyn McCray und Caroline Williams. Besonders möchte ich außerdem den vier Menschen danken, die meine besten Kritiker und meine treuesten Anhänger sind und bleiben: meinen Lektoren Steve Saffel und Veronica Champman und meinen
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