Alex Rider 08: Crocodile Tears
etwas nicht stimmte.
»Was ist?«, fragte er.
»Mum kommt nicht mit«, sagte Sabina. Sie klang enttäuscht. Alex wusste, dass sie sich stundenlang auf die Party vorbereitet hatte. Jetzt war im letzten Moment etwas schiefgegangen.
»Sie fühlt sich nicht gut«, erklärte Edward. »Es sei nichts Ernstes, sagt sie, nur ein Anflug von Grippe.«
»Dann sollten wir alle hierbleiben«, meinte Sabina.
»Unsinn! Ihr drei geht hin und vergnügt euch.« Liz Pleasure war hinter sie getreten. Sie hatte eine herzliche, unbekümmerte Art und lange, nach allen Seiten abstehende Haare. Sie scherte sich nicht um ihr Aussehen und stellte in ihrem Haus keine Regeln auf. Jetzt trug sie einen ausgebeulten Pullover und Jeans und hielt eine Packung Papiertaschentücher in der Hand.
»Ich mache mir sowieso nicht viel aus Partys und bei dem Wetter setze ich ganz sicher keinen Fuß vor die Tür.«
»Aber du willst an Silvester doch auch nicht allein sein, Mum.«
»Ich nehme ein heißes Bad mit dem teuren Öl, das dein Vater mir zu Weihnachten geschenkt hat. Und dann gehe ich ins Bett. Wenn die Uhr zwölf schlägt, schlafe ich längst.« Sie legte den Arm um Sabina. »Wirklich, Sab, es macht mir nichts aus. Wir können morgen Neujahr feiern und dann erzählt ihr mir, was ich verpasst habe.«
»Aber ohne dich macht es keinen Spaß.«
»Quatsch. Du magst doch Partys. Und ihr seht beide umwerfend aus.« Liz Pleasures Entschluss war gefasst. »Ihr müsst hingehen. Die Karten sind ein Vermögen wert.« Sie strahlte Alex an. »Du passt auf meine Tochter auf. Und denkt dran, ihr feiert auf einer echten schottischen Burg. Heute ist Hogmanay, ein wichtiger schottischer Festtag. Es wird bestimmt ganz toll.«
Widerstand war zwecklos und zwanzig Minuten später saßen Alex, Sabina und Edward im Auto. Sie fuhren die kurvige Landstraße entlang, die nach Norden zum Loch Arkaig führte. Das Wetter hatte sich verschlechtert. Inzwischen fiel der Schnee, den Sabina herbeigesehnt hatte, und es war dunkel geworden. Dicke Flocken wirbelten durch die Scheinwerferkegel. Edward Pleasure fuhr einen Nissan X-Trail, den er am Flughafen von Inverness gemietet hatte. Alex war froh über den Allradantrieb. Sie würden ihn bald brauchen, denn der Schnee blieb bereits auf der Fahrbahn liegen.
Sabina hatte es sich mit ausgestreckten Beinen auf dem Rücksitz bequem gemacht und entwirrte die Kopfhörerkabel ihres iPod, Alex saß vorn. Er war seit der Zeit in Südfrankreich zum ersten Mal allein mit Edward Pleasure und fühlte sich ein wenig unbehaglich. Bestimmt wusste Sabinas Vater längst von seiner Zusammenarbeit mit dem MI6. Sabina hatte ihm wahrscheinlich alles erzählt. Trotzdem hatten sie nie darüber gesprochen, als sei das irgendwie taktlos.
»Schön, dass du bei uns bist, Alex«, sagte Edward leise. Er hatte die Stimme gedämpft, damit Sabina, die inzwischen in die Musik von Coldplay eingetaucht war, sie nicht hörte. »Sab hat sich wirklich gefreut, dass du kommen konntest.«
»Ich bin auch sehr gerne bei euch.« Alex überlegte kurz und fügte hinzu: »Das mit heute Abend tut mir leid.«
Edward lächelte. »Wir brauchen ja nicht so lange zu bleiben, wenn ihr nicht wollt. Aber Liz hat vollkommen Recht. Silvester wird nirgends so gefeiert wie hier in Schottland. Und Kilmore Castle ist etwas Besonderes. Das Gebäude stammt aus dem dreizehnten Jahrhundert und fiel dem ersten Jakobineraufstand zum Opfer. Danach war es eine Ruine, bis Desmond McCain es gekauft hat.«
»Ist das nicht der Mann, über den Sie gerade schreiben?«
»Stimmt. Reverend Desmond McCain. Wir gehen hauptsächlich seinetwegen dorthin.« Edward streckte die Hand aus und drückte einen Schalter. Warme Luft blies über die Windschutzscheibe. Die Scheibenwischer gaben zwar ihr Bestes, aber der Schnee blieb trotzdem am Glas kleben. Im Auto war es im Unterschied zu draußen gemütlich warm. »Ein interessanter Mann, Alex. Kennst du ihn?«
»Nicht wirklich.«
»Ich dachte, du hättest vielleicht was über ihn in der Zeitung gelesen. Er wuchs in einem Waisenhaus im Londoner Osten auf. Keine Eltern, keine Familie, nichts. Als Baby wurde er in einem Einkaufswagen ausgesetzt, eingewickelt in eine Plastiktüte von McCains Pommes frites. Daher hat er seinen Namen. Ein Ehepaar aus Hackney hat ihn aus dem Heim geholt und von da an ging es aufwärts. Er war gut in der Schule – zumindest in Sport. Mit achtzehn war er ein bekannter Boxer. Er gewann zweimal den Titel der WBO im Mittelgewicht. Alle
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