Alicia II
es nicht so ausgedrückt, und die autobiographische Schilderung begann mich anzustrengen. Ich sehnte mich nach seinem Signal, die Unterhaltung zu beenden. »Jedenfalls kam ich auf diese Weise in die Enklave. So nannten wir uns hochtrabend selbst. Wahrscheinlich machten es andere Enklaven ebenso. Viele Jahre arbeiteten wir ohne Erfolg daran, menschliche Klone zu schaffen. Im Anfang waren wir voller Begeisterung und glaubten fest daran, es werde uns gelingen, menschliche Wesen aus Zellen wachsen zu lassen. Klone waren eine so großartige Idee. Wenn wir Klone entwickeln konnten, brauchten wir keine Menschen auszumustern, die Erneuerung wäre allen zugänglich, und die Körper würden von uns, der Enklave, geliefert werden. Später, nachdem die Weltregierung konstituiert war und ihre Vertreter uns Mittel für weitere Klon-Forschung versagten, mußten wir, die Enklave, uns verbittert mit den langweiligeren Studiengebieten beschäftigen, die uns zugewiesen wurden. Wir forschten nicht mehr. Wir hielten nur noch lange Diskussionen ab, mehr Geschwätz als Arbeit. Auf gewisse Weise waren wir eine sehr törichte Gruppe, verrückte Wissenschaftler, die immer noch vorgaben, ihr Tun habe irgendeine Wichtigkeit für die reale Welt. Ich bin froh, daß ich das hinter mir habe.«
»Etwas von der Bitterkeit, die Sie erwähnten, haben Sie mitgenommen.«
»Nun ja, in meinen letzten Tagen war ich zum Geizhals geworden. Selena sagte immer …«
»Selena?«
»Meine Frau. Sie war …«
»Oh. Ich frage mich, wohin meine Tochter diesmal gewandert ist.«
Das war es. Das Signal. Reynals Befehl, die Unterhaltung einzustellen. Er war zu abrupt gekommen, obwohl ich mich danach gesehnt hatte. Ich war zornig darüber, daß er andeutete, die noch nicht beschriebenen Teile meines ersten Lebens seien für ihn ohne Interesse. Dann erkannte ich: Er konnte es einfach nicht zulassen, daß das Thema »Ehefrauen« in die Unterhaltung einbezogen wurde; er konnte es nicht zulassen, daß die Erinnerung an Alicia I sich ihm von neuem aufdrängte.
5
Für den Rest dieser leider zu kurzen Woche begleitete ich Alicia glücklich auf all ihren improvisierten Ausflügen. Wir erkundeten die erstaunlich guterhaltenen Überreste eines Tanzlokals, kratzten Sand von einem Marmorfußboden und sprachen mit den in den Schatten sitzenden Geistern von Mauerblümchen. Wir gerieten an eine aufgegebene Brücke und erfanden für sie einen Balladen singenden Troll mitsamt seiner ganzen Lebensgeschichte. Wir schlichen uns in anderer Leute Hütten und untersuchten ihre Habseligkeiten. Je länger ich mit Alicia zusammen war, desto stärker wurde meine Überzeugung, daß die Überlegungen Reynals’, ob sie doch noch von dem gleichen Schicksal ereilt werden könne wie ihre Mutter, nur die übertriebenen Ängste eines liebenden Vaters waren. Intelligent? Sie war intelligenter als alle Kinder, die ich je gekannt hatte, ganz zu schweigen von ein paar einwandfrei als qualifiziert eingestuften Erwachsenen.
Wir streiften an mehreren heißen Nachmittagen umher und tanzten komische Gigues als Willkommensgruß für die zögernd aufgehenden Monde. Alicias hübsches Gesicht zeigte viele Nuancen des Ausdrucks, wenn sie in dem unterschiedlichen Licht umherwirbelte – dem wissenden Schatten des natürlichen Monds, dem stählernen Flackern des Satellitenmonds, den Python-Attacken eines Strandfeuers, der Aura von Menschen geschaffener Lichter, die auf den Hügelkuppen schimmerten, den Widerspiegelungen all dieser Quellen auf dem undurchdringlichen Wasser. In jedem Licht war es ein anderer Ausdruck, keiner trat zweimal in der Stunde auf.
Nach und nach gewöhnte sich mein Körper daran, daß ich ihn herumkommandierte, und kam seinen Pflichten mit weniger Widerstreben nach. Vielleicht sagte er sich, daß er bereits ausreichende Rache für mein Eindringen genommen habe und daß die Fortsetzung dieser kleinen Quälereien unnötiger Sadismus sei.
Mr. Reynals’ Ferien endeten zur gleichen Zeit wie mein Rekonvaleszenten-Urlaub, und wir vereinbarten, gemeinsam zum Hauptstrom der Menschheit zurückzukehren. Mir tat es leid, diesen stillen, und vor allem unbevölkerten Ort verlassen zu müssen. Während der ganzen Zeit in Spa hatte ich nicht einmal dreißig Leute gesehen und vielleicht mit der Hälfte von ihnen gesprochen. Noch heute denke ich voll Sehnsucht an diese Einsamkeit zurück, aber jetzt träume ich des Nachts von einer verwüsteten Stadt, über deren Eingang in grünen
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