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Alicia II

Alicia II

Titel: Alicia II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Thurston
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Zynismus.
     

 
6
     
    Die Luft des Rapzug-Bahnhofs war dick von Gestank. Ich meinte, einzelne Schichten wahrzunehmen: erhitzte Körper, ungenügende Pissoirs, den Abfall der Gleichgültigkeit, all den Rost und Staub, der den Reinigungsmannschaften unschwer entgeht. Ich wartete, Alicias Hand in meiner. Vor uns stand ihr Vater, und an den übrigen drei Seiten waren wir von anderen Reisenden eingekeilt. Ich spürte sie förmlich gegen meinen Rücken, meine Schultern, meine Brust drücken. Ich hatte ein Netzhemd und Hosen aus dem sogenannten »Kühlschrank«-Stoff angezogen, der einen von der Hitze draußen isolieren sollte, jedoch (wie ich jetzt entdeckte) inmitten einer Menschenmenge nicht funktionierte. Ich stellte mich auf die Zehen, um einen Atemzug frischer Luft zu erhaschen, und dann setzte ich meine Fersen auf die Füße von jemand anders.
    Wir murmelten beide eine Entschuldigung, obwohl es ebenso wenig sein Fehler gewesen war wie meiner, weil er von einer dritten Person, vielleicht mehrere Reihen hinter ihm, vorwärtsgeschoben worden war.
    Nicht imstande, mich umzudrehen, verrenkte ich mir den Hals, soweit es mir meine protestierenden Nackenmuskeln gestatteten, und sah den rotgesichtigen Herrn hinter mir aus den Augenwinkeln an.
    »Wenn Sie die Füße auseinandersetzen könnten«, begann ich, »dann wäre es vielleicht …«
    »He, Ernie!« sagte der Rotgesichtige, »ich habe dich von hinten gar nicht erkannt.«
    Er berührte meinen bloßen Arm mit schwieligen Fingerspitzen.
    »Es tut mir leid, aber Sie müssen sich …«
    Meine Entschuldigung ging unter in dem langen Heulton des einfahrenden Zuges. Wir schafften es in den Zug, gerade als das Besetzt-Zeichen anging und die Leute hinter uns vor dem Einstieg ausgeschlossen wurden. Nur der rotgesichtige Mann quetschte sich in der kurzen Zeit, bevor die Schleusentür einrastete, noch hindurch.
    »Das war knapp, was, Ernie?« lächelte Rotgesicht und zog eine gewürfelte Robe enger um sich. »Aber was soll’s, zum Teufel, ich muß sowieso bald gehen. Man hat mir die doppelte Versicherungssumme für meine Frau angeboten, wenn ich vor der Zeit gehe. Aber ich habe ihnen gesagt, was sie mit dem Geld machen können. Verdammt, meine Alte hat ja auch nur noch zwei Jahre vor sich. Soll es also an die Kinder fallen? Laß sie für sich selbst sorgen, sage ich immer. Gottverdammt, eins davon hat sich noch dazu qualifiziert. Sie sagen, darauf solle ich stolz sein, aber ich werde diesem kleinen Bastard kein Erbe hinterlassen, darauf kannst du wetten. Komisch, aber ich dachte, du wärst bereits weg, Ernie. Das soll natürlich kein …«
    »So wird es wahrscheinlich sein. Ich bin nicht Ernie. Dieser Körper mag ihm gehört haben, doch ich fürchte, er ist dahin.«
    Ich glaube, ich sprach wie der typische kalte Fisch. Eis schimmerte auf meinen Schuppen. Ernies Freund nickte und hakte einen schwieligen Daumen in den Gürtel seiner Robe.
    »Tut mir leid, entschuldigen Sie«, murmelte er, seine Wut hinunterwürgend. Dann schlängelte er sich in einen anderen Teil des Wagens. Während der ganzen Fahrt blickte er oft mit seinen bewölkten, kummervollen Augen zu mir hinüber.
     

 
7
     
    Wenn ich wollte, könnte ich eine hübsch romantische Darstellung meines Abschieds von Alicia auf dem gedrängt vollen Lakeshore-Bahnhof im Cleveland-Meglop geben. Die Einzelheiten retuschieren, die Andeutung einer späteren Neigung in ihren tränengefüllten Augen erkennen (tatsächlich strahlten diese Augen fröhlich und hielten sicher schon nach neuen Abenteuern Ausschau). Aber wir sollen den Pfad der Liebe nicht mit künstlichen Rosen bestreuen. Alles spielte sich gehetzt ab. Atemlose Erklärungen, Versprechen, sich wiederzusehen, die doch gebrochen wurden, ein verrücktes Hinstürzen zum Ausgang. Vielleicht zauste ich kurz ihre blonden Locken, vielleicht streichelte ich ihr wie ein guter Onkel den Kopf, war einen Augenblick lang traurig über den Abschied, so in der Art. Aber es beschäftigte mich viel mehr, daß ich nun mit meinem zweiten Leben anfangen konnte. Mein Körper begann, ordnungsgemäß zu funktionieren, und ich brannte darauf, ihn zu erproben. Ich sehnte mich danach, lange entbehrte Freuden zu genießen.
    In meiner ersten Lebensspanne war ich ein solcher Einsiedler gewesen, daß ich meiner Meinung nach in dieser Runde ein erfüllteres Dasein brauchte – etwas Besseres, als mich tief in einer unterirdischen Höhle mit einer Enklave von Experimentatoren zu vergraben, die ebenso

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