Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alicia II

Alicia II

Titel: Alicia II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Thurston
Vom Netzwerk:
das Gesicht, ließen es aber trocken. Essensdüfte reizten zwar den Appetit, und dann kam die herbe Enttäuschung, weil der Geschmack fehlte.
    Ein Spezialist für Wiederbelebungstechnik, von Alicias Vater bestochen, spielte diesem die Information zu, und Reynal schlich sich in das Foyer, wo die neue Martina ihren ersten großen Auftritt in der Welt hatte. Er ging nahe an sie heran und versuchte, Alicia I in den müden, traurigen Augen, den unbeholfenen Bewegungen, dem hinkenden Gang zu finden.
    Er sagte ihr, wer er war, und ich fürchte, er machte ihr einen Antrag, den die in diesem Augenblick noch unerfahrene Martina selbst nach den Begriffen dieser Eskapisten-Zeit unsittlich fand. Als sie ihn abblitzen ließ, geriet er in Verzweiflung. Er flehte sie an, seine Gesellschaft nur für eine Weile zu erdulden, sei es für zehn Jahre oder für zehn Minuten, das spiele keine Rolle. Wieder lehnte sie ab. Er küßte sie trotzdem. Sie ohrfeigte ihn. Er ging.
    Vielleicht eine häßliche Geschichte und dazu eine, die man klugerweise im Familienschrank unter Verschluß hält. Ich fragte mich, ob Alicias Vater, auf eigenen Wunsch in eine andere Welt verpflanzt, fortfuhr, diese alternde Fackel zu tragen. Und Martina – wo sind diese alten Stars heute?

 
4
     
    An jenem Tag am Strand sprachen Alicias Vater und ich nur noch wenig miteinander. Wir sahen Alicia beim Spiel zu und ließen uns von ihr unserer Faulheit wegen aufziehen.
    Um die langen Schweigepausen zwischen Claude Reynal und mir zu verkürzen, zwang ich ihn ständig zur Unterhaltung. Auf diese Weise holte ich dürftige, anekdotenhafte Informationen aus ihm heraus. Es schien ihn überhaupt nicht zu kümmern, was er mir erzählte. Doch es wäre ihm offenbar lieber gewesen, wenn ich so bald wie möglich verstummt wäre. Ich lernte eine Konversationstechnik, die bei ihm gut funktionierte: das knappe Anschneiden eines Themas ohne jede vernünftige Einleitung. Eines Tages hatte ich das Bedürfnis, über mich selbst zu sprechen, das verzweifelte Bedürfnis, denn die Unfähigkeit meines Körpers, etwas zu lernen, trieb mich in den Wahnsinn. Ich sagte zu ihm: »Sie erinnern mich überhaupt nicht an meinen Vater, kein kleines bißchen.«
    »Ich war mir keiner Ähnlichkeit, die auch nur von leisestem Interesse sein könnte, bewußt«, sagte er. Es klang freundlich – sarkastisch, aber freundlich –, und deshalb bohrte ich weiter.
    »Mein Vater war empfindsam, zu empfindsam für seine Zeit, zu empfind …«
    »Dann kann es natürlich keine Ähnlichkeit gegeben haben.«
    Er stellte nichts mit seinem Gesicht an, das auf Humor hingewiesen hätte.
    »Nun, ich habe nicht sagen wollen, Sie seien nicht empfindsam. Natürlich nicht.«
    »Natürlich nicht.«
    »Mein Vater war ein Eskapist.«
    »Vielleicht sind wir uns doch nicht ganz unähnlich. Auch ich neige ein wenig zu jener Richtung. Wie war er?«
    Ich war beinahe sprachlos. Claude Reynal hatte tatsächlich mir eine Frage gestellt! Schließlich entzog ich mich dem Bann dieser vorgebeugten Haltung, dieser grauen Augen und antwortete: »Nun, er reagierte auf seine Zeit, die Ansichten, die Krisen. Sie wissen schon, Verbrechen, Lebensmittelmangel, überfüllte Wohnungen, Haß, Heuchelei …«
    »Ich habe undeutliche Erinnerungen an einige dieser Zustände. Wie viele andere Menschen habe ich aus ihnen der Bequemlichkeit halber Geschichte gemacht.«
    »Ach ja? Jedenfalls, wie ich schon sagte, versuchte mein Vater, diesen Zuständen zu entkommen. Er schleppte uns, die Familie, im ganzen Land umher. Er war auf der Suche nach einem – einem besseren Leben, würden Sie es wohl nennen.«
    »Ja, das würde ich.«
    Ich wünschte, er würde seinen Körper um den halben Zoll, den er sich mir entgegengeneigt hatte, wieder aufrichten.
    »Das Endergebnis war, daß mein Vater auf seiner Suche da landete, wo er hergekommen war. Im übertragenen Sinne, meine ich.«
    »Ja, ja, verstehe.«
    Ich kam nicht dahinter, welches Spiel Reynal mit mir trieb.
    Ich spürte nur, daß er die Figuren manipulierte.
    »Im wesentlichen fanden wir überall die gleichen Bedingungen. Die großen Städte litten unter Überbevölkerung, die kleinen Städte waren verbarrikadiert. Die leichteren Zeiten, die Zeiten der Weltregierung und des Erneuerungs-Wunders, sollten ja erst kommen.«
    »Das Wunder, ja, so ist es.«
    Irgend etwas – aber diesmal nicht Reynal – drängte mich, nicht weiterzureden.
    »Ich weiß es nicht bestimmt, ich vermute es nur. Es wurde eben alles zu

Weitere Kostenlose Bücher