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Alle auf Anfang - Roman

Alle auf Anfang - Roman

Titel: Alle auf Anfang - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Zaplin
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hinteren Tor, hinter Jasper her. Hört sich brüllen: Bleib stehen, rede mit mir! Er hört sie nicht. Schon lange nicht mehr. Sie weiß, dass sie verloren hat. Sie will es nicht wissen. Ob die Frau noch lebt?
    Als der Krankenwagen davongerast war, hat sie sich beobachtet gefühlt, hat, wie von einem fernen Impuls gelenkt, nach oben geschaut, zur Brücke, und ist dort in Jaspers Blick gelandet. Sie kann sich nicht erinnern, wann er sie zuletzt direkt in seine Augen hat sehen lassen.
    Sie hebt die Lider. Ihr Blick fällt auf das Notebook. Das winzige Stand–by–Licht unten am Rahmen leuchtet grün. Vier, fünf Schritte durchs Zimmer, ein sanftes Berühren des Mousepads, und das Tiefschwarz auf dem Schirm wird lichter. »Welcome home«, liest Alma. Sie zieht den ledernen Drehstuhl, den sie ihm zum Geburtstag geschenkt hat, heran und setzt sich. Die Schrift tanzt in den Himmel darüber und macht drei Köpfen Platz. Drei Fratzen. Eigentlich sind es nur Augen, von Gesichtszügen ist nichts zu sehen, Umrisse markieren Stirn, Wangen, Kinn. Zwischen den dreien tanzen Buchstaben, formieren sich rasch zu zwei Worten: Ghost Family. Dann ziehen die Umrisse sich zu einem Strich zusammen, aus diesem entsteht eine Tür.
    Die Tür öffnet sich, und Alma erkennt das Bild, das sie früher in dieser Nacht schon einmal gesehen hat: als sie die Zimmertür öffnete, weil irgendeine Ahnung sie beschlichen hatte. Jasper saß vor dem Notebook wie sie jetzt, mit der rechten Hand betätigte er den Cursor, sie nannte seinen Namen, er drehte sich um und sie blickte in eine weiße Fratze mit aufgemaltem, lachenden roten Mund. Noch nie war sie derart zu Tode erschrocken. Sie hat irgendetwas gesagt, sie weiß nicht mehr, was. Es hat ihren Sohn von seinem mächtigen Chefsessel hochgerissen. »Du sollst mich in Ruhe lassen!«, hat er geschrien, seine junge, gerade erst zum Bass heranreifende Stimme war umgekippt, so dass es schrill und kieksend klang, er hat sie zur Seite gestoßen und ist hinausgerannt, und ehe sie ihm nachlief, hat sie einen Blick auf das Notebook geworfen und dieses Bild gesehen: die Clownsmaske, grinsend, und hinter ihr die tanzenden Buchstaben, die sich zu einem GO JOKER formierten.
    Go Joker. Was hat Jasper getan? Alma lehnt sich zurück, wieder fallen ihr die Augen zu. Die wilde Jagd durch den Wald. Die Autobahn. Das Wrack vor dem Brückenpfeiler. Die Frau auf der Fahrbahn. Nein, nicht sie, nicht Alma hat ihn über die Leitplanke gejagt und diesen grauenhaften Unfall ausgelöst. Er hat längst eine andere Familie. Die hat ihn geschickt. Und er tut, was sie sagen, obwohl nicht sie es sind, die ihm das Zimmer eingerichtet haben, die seine Kleidung bezahlen und die Nachhilfelehrer und die ihm Taschengeld geben und ihm später ein Studium finanzieren werden.
    Auf dem bequemen Schreibtischstuhl ihres Sohnes, in die Lehne gedrückt und mit geschlossenen Augen sieht Alma den Jungen mit der Clownsfratze in grauen Straßen in einer Gruppe von Geistern stehen, die auf den Beginn der Lebensmittelausgabe für Bedürftige warten. Von hinten nähert sich eine Zivilstreife, und der Junge mit der Clownsfratze schert aus der Gruppe aus und beginnt zu rennen. Ein Kanaldeckel tut sich vor ihm auf, er springt hinein, zieht den Deckel gerade noch zu, ehe der Streifenwagen darüber fährt. Eine aufgescheuchte Ratte jedoch kann nicht mehr ausweichen und bleibt platt auf der Straße liegen.
    Alma stöhnt getroffen auf. Sie hat sich bei einem Gedanken erwischt und zugleich bei der Sehnsucht, ihn zuzulassen: besser, Jasper wäre tot.
In der Pathologie
    Zwanzig Jahre zurück. Mit den Kommilitonen stand Alma vor der Tür zum Obduktionssaal. Es war ihr erster Tag im Pathologiepraktikum. »Hoffentlich ist auch jemand gestorben«, witzelte einer der Medizinstudenten. Er war genauso bleich wie die anderen. Hoffentlich kippen wir nicht alle um, dachte Alma. »Manchmal bekommt man nämlich nur ein Bein oder sogar bloß eine Hand zum Obduzieren«, erklärte der Witzbold und hörte auf zu grinsen, als die Tür sich öffnete.
    »Meine Herrschaften, bitte sehr.«
    Der Professor reichte ihnen die Kittel und die Gummihandschuhe und führte sie, nachdem sie angezogen waren, in den Saal. Formalingeruch schlug ihnen entgegen. Auf dem Tisch lag etwas sehr Kleines. Eine Hand? Ein Bein? »Ein Fötus«, erklärte der Professor. »Vierzehnte Woche. Dann wollen wir mal.«
    Eigentlich war Alma erleichtert. Einen Erwachsenen zu obduzieren, eine gelebte und vielleicht

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