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Die Schwerelosen

Die Schwerelosen

Titel: Die Schwerelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valeria Luiselli
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Der Mittlere weckt mich auf:
    Weißt du, woher die Moskitos kommen, Mama?
    Woher?
    Aus der Dusche. Am Tag sind sie im Duschkopf, und nachts stechen sie uns.
    *
    Alles hat in einer anderen Stadt begonnen und in einem anderen Leben, vor diesem jetzt, aber nach jenem damals. Deshalb kann ich diese Geschichte nicht so schreiben, wie ich gerne möchte – als wäre ich noch dort und nur diese andere Person. Es fällt mir schwer, von Straßen und Gesichtern so zu sprechen, als begegnete ich ihnen noch täglich. Ich finde nicht die zutreffenden Zeiten für die Verben. Ich war jung, meine Beine waren kräftig und dünn.
    (Ich hätte gerne so begonnen, wie Hemingways
A Moveable Feast
endet.)
    *
    In jener Stadt lebte ich allein in einer fast leeren Wohnung. Ich schlief wenig, aß schlecht und ohne große Abwechslung. Ich führte ein einfaches Leben, hatte meine Routine. Ich arbeitete als Gutachterin und Übersetzerin in einem kleinen Verlag, der sich der Rettung »ausländischer Juwelen« widmete,die keiner kaufte – schließlich trafen sie auf eine Inselkultur, in der man die Übersetzung als etwas Unreines ablehnte. Aber ich mochte meine Arbeit und habe sie, wie ich glaube, eine Zeit lang gut verrichtet. Außerdem durfte man dort rauchen. Von Montag bis Mittwoch ging ich in den Verlag, die Donnerstage und Freitage waren für die Recherchen in den Bibliotheken vorgesehen. Montags kam ich immer früh und gut gelaunt dort an, mit einem Pappbecher voll Kaffee. Ich begrüßte Minni, die Sekretärin, und den
chief editor;
er war der einzige Lektor, aber der Chef. Er hieß White. Ich setzte mich an meinen Schreibtisch, drehte mir eine Zigarette aus blondem Tabak und arbeitete bis in die Nacht hinein.
    *
    In diesem Haus hier wohnen wir zwei Erwachsenen, das Baby und das mittlere Kind. Wir sprechen von ihm als dem Mittleren, weil er, obwohl er der Älteste ist, darauf besteht, noch ein mittleres Kind zu sein. Und recht hat er. Er ist der Älteste, aber noch klein, also ein mittleres Kind.
    Vor ein paar Tagen ist mein Mann, als er die Treppe hinunterstieg, auf das Skelett eines Dinosauriers getreten, und es gab eine Katastrophe. Heulen, Schreien, Trampeln: Der Dinosaurier war kaputt, irreparabel. Jetzt ist der T-Rex unparabel, schluchzte der Mittlere. Manchmal kommen wir uns wie zwei paranoide Gullivers vor, die ständig auf Zehenspitzen gehen, um ja keinen aufzuwecken und nicht auf irgendetwas Wichtiges und Zerbrechliches zu treten.
    *
    Im Winter stürmte es. Aber ich trug Miniröcke, weil ich jung war. Ich schrieb Briefe an meine Bekannte, in denen ich von meinen Gängen durch die Stadt erzählte, von meinen Beinen, die in grauen Strümpfen steckten; von meinem Körper, der in einen roten Mantel mit tiefen Taschen gewickelt war. Ich schrieb Briefe über den kalten Wind, der diese Beine streichelte, und verglich die eisige Luft mit den Stoppeln eines schlecht rasierten Kinns, als wären die Luft und ein paar graue Beine, die durch die Straßen laufen, schon ein literarischer Stoff. Wenn jemand lange Zeit allein gelebt hat, kann er sich von der eigenen Existenz nur überzeugen, indem er die Dinge und die Aktivitäten in einer mitteilbaren Syntax artikuliert: dieses Gesicht, diese Knochen, die da laufen, dieser Mund, diese Hand, die hier schreibt.
    *
    Jetzt schreibe ich nachts, wenn die Kinder schlafen und es erlaubt ist zu rauchen, zu trinken und durchzulüften. Früher schrieb ich immer, zu jedweder Zeit, weil mein Körper mir gehörte. Meine Beine waren lang, kräftig und dünn. Es bot sich an, sie herzuzeigen, wem auch immer, dem Schreibpapier.
    *
    In jener Wohnung gab es nur fünf Möbelstücke: Bett, Esstisch, Stuhl, Bücherregal, Schreibtisch. Schreibtisch, Stuhl und Bücherregal sind eigentlich erst später dazugekommen. Als ich dort ankam, fand ich nur ein Bett und einen Klapptischaus Aluminium vor. Es gab auch eine eingemauerte Badewanne, aber ich weiß nicht, ob die als Möbel zählt. Nach und nach wurde der Raum bevölkert, allerdings meist mit nur vorübergehend präsenten Dingen. Die Bücher aus den Biblioheken verbrachten die Wochenenden gestapelt neben dem Bett und verschwanden dann am Montag, wenn ich sie mit in den Verlag nahm, um die Gutachten zu schreiben.
    *
    Ein schweigsamer Roman, um die Kinder nicht zu wecken.
    *
    In diesem doch großen Haus habe ich keinen richtigen Platz zum Schreiben. Auf meinem Schreibtisch liegen Windeln, kleine Autos, Spielfiguren, Babyflaschen, Rasseln und Gegenstände, die ich noch

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