Alle lieben Emma
Ferientage sonst immer das Größte für mich. Und der erste Tag der Sommerferien ist das Allergrößte. Fast so schön wie Weihnachten und Geburtstag zusammen.
Ich lag im Bett und horchte in mich hinein, um irgendwo tief in mir drin vielleicht doch noch ein Fitzelchen des typischen Sommerferienanfang-Gefühls aufzuspüren. Darauf hatte ich mich schließlich schon die ganzen letzten Wochen gefreut. Es fühlt sich an wie eine Mischung aus Sonnenstrahlen auf der Haut, dem Geruch nach Pommes frites und Chlorwasser, dem Gefühl von nackten Füßen auf warmen Steinen und dem Geschmack von frischen Erdbeeren und Wassereis.
Normalerweise war das zumindest so. Wenn meine Eltern nicht gerade eine Beziehungskrise hatten und unser Haus von unerwünschten Eindringlingen besetzt werden sollte.
Ich hörte auf, in mich hineinzuhorchen. Es hatte keinen Zweck. Ich war vom kleinen Zeh bis in die Haarspitzen prall gefüllt mit schlechter Laune. Da war für Sonnenstrahlen, Erdbeeren und Wassereis einfach kein Platz mehr. Gesa und die Nebelkrähe hatten es tatsächlich geschafft, mich um meine Sommerferienstimmung zu bringen. Sie waren noch nicht einmal eingezogen und machten schon nichts als Ärger.
Wenigstens hatte ich noch die Verabredung mit Bastian heute Nachmittag, auf die ich mich freuen konnte. Das war zumindest ein kleiner Lichtblick. Immer wenn ich daran dachte, schoss die Vorfreude wie ein warmer Wasserstrudel zwischen den Eisbergen in meinem Bauch in die Höhe und ich vergaß meine schlechte Laune zumindest für ein paar Sekunden.
Schließlich stand ich auf und ging nach unten. Auf dem Küchentisch wartete noch ein weiterer Lichtblick auf mich: eine Karte von Oma. Vorne drauf war ein Bild von einem langen Strand, an dem jede Menge Leute unter bunten Sonnenschirmen lagen. Das sah sehr hübsch aus und einen Moment lang wünschte ich mir, ich könnte einfach in das Bild hineinspringen und ein bisschen im Meer planschen. Auf die Rückseite hatte Oma in winzig kleinen Buchstaben geschrieben:
Mein liebes Emma-Kind,
Mallorca ist ein Traum! In meiner kleinen Hütte fühle ich mich inzwischen richtig heimisch. Aber das Beste ist: Ich habe einen sehr netten Nachbarn. Er heißt Carlos und hat einen winzig kleinen Bauernhof. Ich gehe jeden Tag rüber und hole mir zwei Eier. Carlos ist ein ausgesprochen netter und höflicher Mann. Wir führen lange und tiefsinnige Gespräche – zumindest glaube ich das. Leider verstehe ich fast kein Wort von dem, was er sagt. Vielleicht sollte ich doch noch besser Spanisch lernen. Andererseits: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.
Ich wünsche dir wunderschöne Sommerferien!
In Liebe, deine Oma
Die letzten Sätze waren so klein geschrieben, dass ich beinahe eine Lupe brauchte, um sie entziffern zu können. Oma schreibt mir von ihren Reisen nie Briefe, sondern immer nur Postkarten. Für meine Sammlung. Seit Opa vor sechs Jahren gestorben ist, macht sie viele Reisen, manchmal sogar mehrere Monate lang. Auf Mallorca war sie nun schon seit drei Wochen. Erst hatte sie im Hotel gewohnt, aber das hatte ihr nicht gefallen. Also war sie in ein kleines Häuschen irgendwo auf dem Land gezogen, wo es noch nicht mal ein Telefon gab. Mir fiel ein, dass sie wahrscheinlich noch gar nichts von dem Chaos hier wusste. Dagegen musste ich sofort etwas tun.
Ich lief nach oben und heftete die Postkarte über meinem Schreibtisch neben die Karte mit den Pyramiden. In Ägypten war Oma nämlich auch schon. Außerdem hab ich jede Menge Postkarten aus Amerika, Kanada, Brasilien, Afrika und sogar aus Grönland. Alle von Oma! Und zwei von Lea, von der Ostsee. Da war sie letztes Jahr mit ihren Eltern in den Sommerferien. Die Wand über dem Schreibtisch ist schon fast voll, so langsam wird der Platz knapp. Bald hab ich bestimmt die größte Postkarten-sammlung im ganzen Landkreis!
Ich wühlte auf meinem Schreibtisch herum, bis ich eine von den Werbepostkarten gefunden hatte, die ich immer überall mitnehme. Ich nahm einen Kugelschreiber und schrieb:
Liebe Oma,
Papa ist weg. Er wohnt jetzt bei einer Carola in Dederstadt. Er und Mama haben eine Krise. Mama will, dass Gesa und die Nebelkrähe bei uns einziehen (wegen dem Geld). Ich will das aber nicht!!! Sie kommen trotzdem heute. Darum werden die Sommerferien bestimmt nicht wunderschön. Es gibt aber auch eine gute Nachricht: Ich bin heute mit Bastian verabredet. Er ist auch sehr nett und höflich (meistens zumindest). Und ich verstehe sogar, was er sagt! Da hab
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