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Ein süßer Traum (German Edition)

Ein süßer Traum (German Edition)

Titel: Ein süßer Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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    Ein früher Abend im Herbst, und die Straße unten war eine Kulisse aus kleinen gelben Lichtern, die vertraut taten, und die Leute packten sich schon für den Winter ein. Hinter ihr drang die kalte Dunkelheit ins Zimmer, aber nichts konnte sie erschüttern: Sie schwebte hoch wie eine Sommerwolke, glücklich wie ein Kind, das gerade Laufen gelernt hat. Der Grund für diese untypische Leichtherzigkeit war ein Telegramm von ihrem früheren Ehemann Johnny Lennox, Genosse Johnny, das vor drei Tagen eingetroffen war. VERTRAG FÜR FIDEL - FILM UNTERZEICHNET ALLE RÜCKSTÄNDE UND LAUFENDE ZAHLUNGEN AN DICH SONNTAG . Heute war Sonntag. Das »alle Rückstände« war, wie sie wusste, auf einen Zustand ähnlich der fiebrigen Hochstimmung zurückzuführen, in der sie sich gerade befand: Es konnte keine Rede davon sein, dass er »alles« bezahlte, was inzwischen so viel Geld sein musste, dass sie sich nicht mehr die Mühe machte, darüber Buch zu führen. Aber wenn er so zuversichtlich klang, erwartete er bestimmt einen wirklich großen Betrag. Jetzt wehte sie etwas an – eine Befürchtung? Die Zuversicht war sein – nein, Handwerkszeug durfte sie
nicht
sagen, auch wenn sie das oft in ihrem Leben so empfunden hatte; aber hatten ihn die Umstände jemals in die Knie gezwungen oder auch nur verunsichert?
    Auf einem Schreibtisch hinter ihr lagen nebeneinander zwei Briefe wie eine Lektion in den ebenso unwahrscheinlichen wie häufigen dramatischen Juxtapositionen des Lebens. In einem Brief bot man ihr eine Rolle in einem Stück an. Frances Lennox war eine unbedeutende, solide, zuverlässige Schauspielerin, und mehr hatte man nie von ihr verlangt. Dies hier war eine Rolle in einem brillanten neuen Stück, einem Zweipersonenstück, und die männliche Rolle würde Tony Wilde übernehmen, der bisher so weit über ihr gestanden zu haben schien, dass sie nie den Ehrgeiz gehabt hatte, sich seinen und ihren Namen nebeneinander auf einem Plakat vorzustellen. Und
er
hatte verlangt, dass man ihr die Rolle anbot. Vor zwei Jahren hatten sie im selben Stück gespielt, sie wie üblich in einer Nebenrolle. Als die kurze Laufzeit vorbei war – das Stück war kein Erfolg gewesen – und sie am Abend der letzten Vorstellung zum Applaus immer wieder vor den Vorhang traten, hörte sie: »Gut gemacht, das war sehr gut.« Ein olympisches Lächeln war das für sie gewesen, und sie wusste, dass er damit ein gewisses Interesse an ihr gezeigt hatte. Sie hatte feststellen müssen, dass sie in alle möglichen fiebrigen Träume verfiel, was sie eigentlich nicht überraschte, denn sie wusste nur zu gut, wie sehr sie sich abgeschottet, wie gut sie ihr erotisches Ich unter Kontrolle hatte. Doch sie konnte nicht verhehlen, dass sie dafür begabt war, Spaß zu haben (das war sie doch noch?), sogar leichtsinnig zu sein, wenn man ihr Raum dafür ließ, während sie gleichzeitig zeigte, was sie auf der Bühne konnte, wenn sie eine Chance bekam. Aber sie würde nicht viel Geld verdienen, in einem kleinen Theater und mit einem Stück, das ein Risiko war. Ohne dieses Telegramm von Johnny hätte sie sich nicht erlauben können, zuzusagen.
    In dem anderen Brief bot man ihr ein gut bezahltes, sicheres Plätzchen als Briefkastentante (der Name stand noch nicht fest) beim
Defender
an. Das wäre eine Fortführung der anderen Schiene ihres beruflichen Lebens als freie Journalistin, mit der sie ihr Geld verdiente.
    Sie schrieb seit Jahren über alle möglichen Themen. Die ersten Schritte hatte sie bei Lokalzeitungen und Beilagenblättern gemacht, überall dort, wo sie ein bisschen Geld bekam. Mit einem Mal recherchierte sie auch für seriöse Artikel, die in überregionalen Zeitungen erschienen. Sie war bekannt für ihre soliden, ausgewogenen Artikel, die oft ein unerwartetes und originelles Licht auf einen gewöhnlichen Sachverhalt warfen.
    Sie würde ihre Sache gut machen. Wofür war sie durch ihre Erfahrung gerüstet, wenn nicht dafür, die Probleme anderer Leute kühl zu betrachten? Aber es würde ihr keinen Spaß machen, diese Arbeit anzunehmen, sie hätte dabei nicht das Gefühl, einen neuen Schritt zu tun. Sie würde sich eher zusammennehmen müssen, mit jener inneren Entschlossenheit, die wie ein unterdrücktes Gähnen ist.
    Sie hatte diese Probleme so satt, diese verwundeten Seelen, die heimatlosen Kinder, und es wäre so wunderbar zu sagen: »Also, ihr müsst jetzt ein Weilchen allein zurechtkommen, ich bin jeden Abend im Theater, und tagsüber meistens auch.«

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