Alle Menschen werden Schwestern
genannt nach dem Sohn der Göttin Aphrodite und des Gottes Hermes. Der erste Bestandteil dieses zusammengesetzten Wortes ist maskulin, der zweite feminin. Eigentlich müßte es also die Hermaphrodite heißen, denn normalerweise bestimmt der letzte Teil eines Kompositums 23 das grammatische Geschlecht. Wir sagen die und nicht der Kaffeekanne, weil es die Kanne und obwohl es der Kaffee heißt. Warum also der Hermaphrodit ? Weil es sich bei jener Antiquität um ein männliches Wesen handelte? Ich habe meine Zweifel und glaube eher, daß es der Hermaphrodit heißt aus demselben Grunde, wie es der Zwitter heißt.
Mit dem restaurierten [entpatrifizierten] Wort Hermaphrodite bezeichne ich im folgenden Sätze, in denen eine Frau oder eine Gruppe von Frauen sowohl mit einem Femininum als auch mit einem Maskulinum benannt wird. Beispiel: Marie Baum war erst Lehrerin, dann wurde sie Gewerbe-Inspektor. Die Hermaphrodite ist eine ebenso seltsame wie bemerkenswerte sprachliche Erscheinung, die bisher unerkannt und unbenannt in deutschen Texten ihr Wesen trieb und folglich auch noch keiner linguistischen Analyse gewürdigt wurde. Im folgenden gehe ich der Frage nach, wie Hermaphroditen entstehen und was wir aus ihnen über das Thema Frauen, Männer, Sprache, Macht und Realität lernen können.
2 Zur Einstimmung und aus aktuellem Anlaß: Sprachprobleme beim Thema »Frauen zum Bund«
Anfang Mai 1984 erschien ein Spiegel- Heft mit dem Titel-Thema »Soldatinnen — Lückenbüßer der Nation«. 24 Schon die Schlagzeile ein typischer Fall von Hermaphrodite! Ein weiterer Beitrag über Soldatinnen im selben Heft war überschrieben: »>Ob Mädchen oder Frauen, ist ganz Wurscht<: Frauendienst in den deutschen Armeen des Ersten und Zweiten Weltkriegs«. 25
Die beiden Artikel sind mit Fotos illustriert, deren Bildunterschriften meinen Untersuchungsgegenstand geradezu mustergültig exemplifizieren:
Oberstabsärztin des Bonner Wachbataillons bei Parade — Frauen in der Bundeswehr: »Selbstverständlich auch General?«
Oberstabsärztin bei Untersuchung
Bundeswehrärztin im Rettungshubschrauber
US-Soldatin beim Fronteinsatz in Grenada (1983), in der Ausbildung: »Gib Feuer, Schätzchen«
Israelische Soldatinnen: Panik bei den männlichen Kameraden
DDR-Soldatin: »Frau Hauptmann trägt auch Rock«
Schwangere US-Soldatinnen: Sex zwischen Diensträngen Thema eins
Niederländische Soldatinnen: Ausdauernder, widerstandsfähiger, leidensfähiger?
Weiblicher US-Marineoffizier: »Wo ist die Front ?«
Weiblicher US-Kadettenausbilder, Kadetten: »Die Front ist überall«
Weiblicher US-Leutnant, Kind: Ausfallzeiten durch Schwangerschaft
Sowjet-Scharfschützinnen im Krieg (1943): »Flintenweiber« oder Heldinnen?
Flakwaffenhelferinnen (1944): »Aufnahme in den Soldatenstand«
Nachrichtenhelferinnen (1942): »Gegen >Blitzmädel< nichts einzuwenden«
Und schließlich ist ein Werbeplakat der Wehrmacht von 1941 abgebildet, das die Aufschrift trägt:
Hilf siegen als Luftnachrichtenhelferin
Dieses Plakat wäre wohl wenig werbewirksam gewesen, wenn da gestanden hätte: Hilf siegen als weiblicher Luftnachrichtenhelfer. Während nämlich die movierte Form 26 als Selbstbezeichnung taugt, funktioniert die Formel weiblich plus Maskulinum nur als Fremdbezeichnung:
Ich bin Luftnachrichtenhelferin / * weiblicher Luftnachrichtenhelfer.
Die Frauen, die angesprochen werden und sich mit dem ungewohnten Beruf identifizieren sollten, hätten sich also schon durch die gequälte Wortwahl nicht als »das Wahre«, sondern bloß als weibliche Ersatzform eingestuft gesehen.
Die Bildunterschriften dieser beiden Spiegel -Artikel machen den wichtigsten Unterschied zwischen movierten Personen- bzw. Berufsbezeichnungen und ihren angeblichen Bedeutungsäquivalenten des Typs weiblicher Luftwaffenhelfer sehr deutlich:
Für diejenigen Berufszweige (und seien es solche in der Armee), in denen Frauen sich bereits durchgesetzt haben und zur »geschichtlichen Tatsache« oder zur Selbstverständlichkeit geworden sind, werden sie mit der movierten Form benannt. Besonders auffällig ist dies bei den Unterschriften der historischen Fotos. Ein Schwanken zwischen weiblich plus Maskulinum und movierter Bezeichnung ist überhaupt nur für die Gegenwart zu beobachten. Diejenigen Berufszweige hingegen, für die eine weibliche Besetzung hierzulande noch fremdartig bzw. für die meisten sicher nachgerade unvorstellbar ist (bezeichnenderweise die höheren Ränge), erscheinen in
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