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Alle Menschen werden Schwestern

Alle Menschen werden Schwestern

Titel: Alle Menschen werden Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luise F Pusch
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rein männlich besetzt. Frauen kommen hier nur als Opfer vor.
    »Die einzige Hoffnung«, das erkennt Winston mehr und mehr und drückt es am Schluß auch ganz deutlich aus, kurz bevor er gefangengenommen wird, um schließlich bis zur Selbstauslöschung umgepolt zu werden, »die einzige Hoffnung sind die Proles«. Sie werden symbolisiert von einer Frau:

    Die Frau da unten wußte von nichts, sie bestand nur aus starken Armen, einem warmen Herzen und einem fruchtbaren Leib.
    [...] Die Vögel sangen, die Proles sangen, aber die Partei sang nicht. In der ganzen Welt, in London und New York, in Afrika, Brasilien und in den geheimnisvollen verbotenen Ländern hinter den Grenzen, in den Straßen von Paris und Berlin, in den Dörfern der endlosen russischen Weite, in den Basaren von China und Japan — überall stand die gleiche, feste, unerschütterliche Gestalt, unförmig geworden durch Arbeit und Niederkünfte, die von der Wiege bis zum Grabe schwer schuftet und dennoch singt. Aus diesem mächtigen Schoß mußte eines Tages ein Geschlecht wissender Menschen hervorgehen. Ihr seid die Toten; die Zukunft gehört ihnen. Aber man konnte teilhaben an dieser Zukunft, wenn man den Geist lebendig erhielt, so wie sie den Leib lebendig erhielten [...] (S. 203 f.)

    Ich frage mich, was Orwell damit sagen will, daß er das Prinzip der Gewalt und des Todes als Mann symbolisiert und das Prinzip der Hoffnung und des Lebens als Frau. Hat er vielleicht, quasi als Frühfeminist, totalitäre Herrschaft und Machtbesessenheit korrekt erkannt und beschrieben als männliche bzw. patriarchalische Herrschaft und Machtbesessenheit? Oder geraten ihm menschliche Fehlentwicklungen nur deshalb zu männlichen, weil er Menschen eh mit Männern gleichsetzt? Weder, noch — ein bißchen komplizierter ist es schon. Als Schriftsteller und vor allem als Mann ist Orwell nicht nur Diagnostiker, sondern zugleich »Koproduzent« der Strukturen, die er kritisiert.
    Orwells Thema ist, wie gesagt, der Kampf der Macht gegen den Geist, auch und nicht zuletzt der Kampf der Machthaber gegen ihren eigenen »gesunden Menschenverstand«. Wer Geist hat, so lautet eine der unausgesprochenen Prämissen, ist männlichen Geschlechts. Und nur wer Geist hat, ist anfällig für die Verführung der Macht und somit potentiell ein Opfer des eigenen Verstandes/Geistes. Deshalb kann das Heil nur kommen von denjenigen, die keinen Geist haben, dafür aber um so mehr Gefühl und Leib: »Die Frau da unten wußte von nichts, sie bestand nur aus starken Armen, einem warmen Herzen und einem fruchtbaren Leib .«
    Der Sieg des »weiblichen Lebensprinzips« über das »männliche Todesprinzip« ist ein uralter patriarchalischer Mythos, genau wie die Dichotomie »Männlichkeit des Geistes« und »Weiblichkeit des Körpers«. Seine Prämisse lautet, bei Orwell nicht anders als bei den sonstigen Patriarchen, schlicht und dumm: FRAUEN SIND BLÖD. Diese Prämisse wird auch dadurch nicht besser, richtiger oder klüger, daß gerade von diesem geistlosen Geschlecht den unseligen, durch ihren Geist so gefährdeten Männern schließlich das Heil und die Erlösung kommen sollen.

3.3 Vaporisierte Frauen oder: Die Frau als Unperson

    Da es Orwell um die Dressur des menschlichen Geistes geht und Frauen in seinem Weltbild keinen Geist besitzen, ist es nur folgerichtig, daß sie in dem Roman lediglich Randfiguren sind. Der offene Frauenhaß Orwells, wie er auch von anderen Feministinnen übel vermerkt wurde 8 , ist meines Erachtens, verglichen mit dieser grundlegenden Nichtwahrnehmung der Frau als Mensch und vernunftbegabtes Wesen, vergleichsweise harmlos. Um Frauen zu hassen und zu verachten, muß man sie wenigstens wahr- und ernstnehmen.
    »Unpersonen« bzw. »vaporisierte Personen« sind in 1984 solche Menschen, die auf Beschluß der Partei getilgt wurden. Gestern waren sie noch da, heute sind sie plötzlich verschwunden und auf parteilichen Wunsch = Befehl einfach vergessen. Es hat sie nie gegeben. Das Vergessen auf Befehl gehört zur Kunst des »Double-think«, derjenigen geistigen Fähigkeit, die in Ozeanien die wichtigste ist.
    Frauen als Unpersonen werden wiederum von Orwell nicht thematisiert, sind aber dennoch für seinen Text, wie für jeden patriarchalischen Text, konstitutiv.
    Ich möchte das Problem zunächst an einem alten Spruch der 68er-Bewegung illustrieren:

    Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment.

    Der Satz ist ein Beispiel für die beiden grundlegenden Spielarten

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