Alle Menschen werden Schwestern
(Düsseldorf), Dr. Helmich (Brügge), Dr. Schumacher (Düsseldorf), Prof. Dr. Boeckle (Bonn), Prof. Dr. Röhrborn (Düsseldorf), Dr. Propping (Essen), Frau Brüttelmann (Mutter dreier Kinder)
An dieser Liste fällt mir auf, daß sie weder alphabetisch noch hierarchisch (d. h. nach Titeln) geordnet ist. Auch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Uni (ich nehme mal an, daß die Städtenamen dezent die universitäre Heimat andeuten sollen) ist nicht maßgebend. Vielmehr scheint folgendes Ordnungsprinzip zu walten: Die Leute mit Titel (egal welcher) und Herkunftsort kommen in die erste Gruppe, diejenigen ohne Titel und ohne Herkunftsort in die letzte. Diese letzte Gruppe enthält nur ein einziges Mitglied: Frau Brüttelmann, Mutter dreier Kinder. Sie scheint eine dahergelaufene Person zu sein, ohne festen Wohnsitz. Titel hat sie auch keine zu bieten; sie vertritt in dieser Podiumsdiskussion wahrscheinlich auch bloß die Praxis, während die Vertreter der Theorie mit Recht zu sechst und an erster Stelle auftreten.
Ich kann der Liste nicht entnehmen, wes Geschlechtes die sechs Betitelten sind und ob sie vielleicht, als Väter oder auch Mütter (wer weiß es denn??), mit der Praxis des Diskussionsthemas auch irgendwas zu tun haben. Sollten wirklich alle kinderlos sein — das ist doch kaum anzunehmen! Warum aber werden dann nur die Kinder der Frau Brüttelmann zu Protokoll gegeben? Wie wir sehen werden, hat schon diese Art der Wahrnehmung bzw. Informationspolitik sehr viel mit unserem Thema, Männersprache, zu tun. Und was nun das Geschlecht betrifft, so neige ich aus langer Erfahrung zu der Vermutung, daß die sechs Professores und Doctores Männer sind. 5 Außerdem heißt das Thema ja auch »Dürfen wir, was wir können ?« — und welche Frau kann schon befruchten, sei es nun künstlich oder nicht. Die Befruchtung, ob künstlich oder nicht, haben wir bekanntlich allein den Männern zu verdanken.
Über die Frage, ob wir Frauen, wenn mann uns — künstlich oder nicht — befruchtet hat, uns der Frucht entledigen dürfen, ob wir mithin dürfen, was wir können (oder besser: was wir einmal konnten, als weise Frauen, Hebammen, noch nicht alle als Hexen verbrannt worden waren), entscheiden bekanntlich die Männer in der katholischen Kirche und in den Parlamenten im Alleingang. Um so mehr ist die politische und menschliche Sensibilität der Diskussionsveranstalter 6 zu loben, die mit Frau Brüttelmann, Mutter dreier Kinder, auch ein Mitglied der Gruppe der Befruchteten bzw. Befruchtbaren zu Wort kommen lassen.
2 Anmerkungen zum Titel dieses Vortrags
Ich wurde hierher eingeladen, um etwas zum Thema »Sprache — 1984 — Großer Bruder — Orwell — Newspeak « vorzutragen. Die endgültige Themenformulierung »Männersprache — Sprache des Großen Bruders ?« stammt nicht von mir. Ich finde sie gut — bis auf das Fragezeichen. Unsere deutsche Männersprache hat sehr viele Züge mit Orwells Newspeak gemeinsam. Das ist für mich keine Frage, sondern die zentrale These meines Vortrags.
Doch bevor ich diese These begründe, möchte ich aus weiblicher Sicht einige Anmerkungen zu Orwells 1984 machen.
3 Orwell als männlicher Chauvinist
3.1 Das Frauenbild bei Orwell 7
Die Frauen bei Orwell fallen vor allem dadurch auf, daß sie kaum vorkommen. Sie sind prozentual etwa so stark vertreten wie Frau Brüttelmann in jener Expertenrunde — insofern hat sich diese Veranstaltung dem Rahmenthema Orwell nett angepaßt oder, anders betrachtet: Orwells Anti-Utopie beschreibt unser Jahrzehnt ziemlich korrekt, was diesen Zug betrifft. Doch davon später.
Immerhin gibt es neben den beiden männlichen Helden, Winston Smith und O’Brien, als dritte Hauptperson eine Frau: Julia, die Geliebte Winstons. Obwohl sie 26 Jahre alt ist, wird sie durchgehend als »Mädchen« [girl] bezeichnet. Ihren Nachnamen erfahren wir nicht, und Winston scheint ihn auch nicht zu kennen oder wissen zu wollen. Dafür erfahren wir um so mehr Nachnamen von Männern ohne Vornamen.
Julia interessiert sich nicht für Politik und Theorien, sondern für Winston, die Liebe und gutes Essen. Während Winston grübelt und sinnt und verbotene revolutionäre Schriften studiert, kümmert sie sich um die praktischen Belange des Lebens. Julia ist eigentlich die sympathischste Person in dem ganzen Buch — nur ist sie leider ziemlich frauenfeindlich:
Sie wohnte in einem Heim mit dreißig anderen jungen Mädchen zusammen. (»Immer in dem Weibergestank! Wie ich die Frauen
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