Alle Menschen werden Schwestern
werden Schwestern: Überlegungen zum umfassenden 61 Femininum
By age 17 a human being may know 80,000 words; how does she do it?
Scientific American ,
Titel-Schlagzeile 9/87
Es werden zur Zeit Untersuchungen über [...] den gesamten symbolischen Apparat unserer Männerkultur veröffentlicht, über die Bedeutung von Metaphern und speziell sexuellen Metaphern. Was aber noch immer nicht erkannt ist, ist die Bedeutung der einen, alles durchdringenden Metapher, die in unserer Sprache verankert ist: Ich meine die Metapher des Genus selbst.
Alma Sabatini 62
1 Grammatik und Mathematik: Die Metapher des Genus
Alma Sabatini ist Italienerin — sie weiß, wovon sie spricht. Denn in der italienischen Sprache ist die Metapher des Genus womöglich noch »durchdringender« als im Deutschen. Wie alle romanischen Sprachen besitzt das Italienische nur zwei Genera: Maskulinum und Femininum, während wir im Deutschen immerhin noch das Neutrum haben. Dieses Neutrum gibt uns z. B. die Möglichkeit, das Kind, das eine Frau erwartet, realitätsgerecht, geschlechtsneutral eben, zu bezeichnen. Unsere Sprache macht es nicht schon vor der Geburt zu einem kleinen Mann, wie es die romanischen Sprachen tun. Allerdings — das Neutrum hat bei uns auch seine Tücken: Ist das Kind geboren, heißt es »der Junge« oder »das Mädchen«. Das männliche Kind wird also sprachlich als männlich eingeordnet, das weibliche Kind hingegen als sächlich.
Diese Art Einordnung in die richtige oder falsche »Geschlechts-Schublade« mit Hilfe des richtigen oder falschen Genus nennt Sabatini »die Metapher des Genus«. Männer werden immer richtig eingeordnet, Frauen fast nie, denn in unserer Sprache gilt die Regel: 99 Sängerinnen und 1 Sänger sind zusammen 100 Sänger. Futsch sind die 99 Frauen, nicht mehr auffindbar, verschwunden in der Männerschublade. Die Metapher bewirkt, daß in unseren Köpfen nur Manns-Bilder auftauchen, wenn von »Arbeitern«, »Dichtern«, »Studenten«, »Rentnern« oder »Ärzten« die Rede ist, auch wenn jene »Rentner« oder »Ärzte« in Wirklichkeit überwiegend Ärztinnen oder Rentnerinnen waren.
Wann immer meine US-amerikanischen Freundinnen von Frauen sprechen und dabei Wörter wie student, friend, neighbor, lawyer, social worker, colleague verwenden, stelle ich mir zunächst (bis das klärende Wort she gesprochen ist) Männer vor, weil die deutschen Entsprechungen Maskulina sind — und das, obwohl ich seit Jahren gegen den perfiden Einfluß der Metapher in meinem eigenen Kopf andenke! Eine Bekannte erzählte mir neulich von dem neuen Lehrling in ihrem Geschäft, und ich habe mir natürlich ganz automatisch einen Jüngling vorgestellt. Der Lehrling war aber — eine junge Frau! Undenkbar ist es in unserer Kultur auch, daß ein Buch etwa über »Die Anatomie des Menschen« auf dem Umschlag einfach eine Frau darstellt. Eine Frau kann in unserem Denken nicht »den Menschen« symbolisieren — dieses Privileg bleibt dem Mann Vorbehalten, nicht zuletzt dank einer nur scheinbar harmlosen Grammatikregel, die aus beliebig vielen Frauen Männer macht, sowie ein einziger Mann hinzukommt. Auf die Spitze getrieben: Die gesamte Erdbevölkerung könnte aus Milliarden von Frauen und einem Mann bestehen — diese Regel würde die Frauen noch immer als »Erdbewohner« statt »Erdbewohnerinnen« zählen, und spätere Generationen hätten einige Mühe, sich unter diesen »Erdbewohnern« überhaupt Frauen vorzustellen.
Ist es denn so schlimm, wenn wir alle uns — auf den Leim geführt durch die Metapher des Genus — unter dem bzw. einem Menschen eigentlich nur einen Mann vorstellen können? Diese häufig gestellte Frage zeugt von ungeheurer Naivität oder eben davon, wie tief die Metapher des Genus bereits auf unser Bewußtsein eingewirkt hat. Die Metapher vermittelt, »alles durchdringend«, nämlich mit fast jedem einzelnen deutschen Satz, d. h. mit Milliarden und Abermilliarden von Sätzen, immer wieder die eine Botschaft: Frauen sind nicht der Rede wert. Frauen und Männer, die diese Botschaft geschluckt haben, können gar nicht anders als genervt fragen, ja was soll denn so schlimm daran sein, wenn wir uns unter einem Menschen automatisch einen Mann vorstellen?
Um wirklich erfassen zu können, was daran schlimm ist, brauchen wir Analogien aus anderen Bereichen der Wirklichkeit. Etwa Sätze wie den oben als erstes Motto angeführten, die zur Abwechslung mal wie selbstverständlich davon ausgehen, daß the human being >der
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