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Alle Menschen werden Schwestern

Alle Menschen werden Schwestern

Titel: Alle Menschen werden Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luise F. Pusch
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ich anfangen, systematisch über sexismus in der Sprache, über eine weibliche sprache, eine weibliche literatur zu arbeiten und genauer über das leben unter frauen zu berichten. (S. 4, meine Hervorhebung)

    Mary Daly begründet ihre Sprachkritik wie folgt:

    Gynocentric writing means risking. Since the language and style of patriarchal writing simply cannot contain or carry the energy of women’s exorcism and ecstasy, in this book I invent, dis — cover, re-member. (1978: 24)

    Anders als Stefan lehnt also Daly nicht >die Sprache< (in toto) als ungeeignet ab, sondern >the language and style of patriarchal writing<, und sie definiert in ihrem >Grundmuster des sado-ritualen Syndroms< (Daly 1978: 130f. bzw. 1981: 153 f.) sehr genau, was sie darunter versteht. Auch ist sie als Bürgerin der USA, des Geburtslandes der feministischen Sprachkritik, ja der Neuen Frauenbewegung überhaupt, in ihrem drei Jahre nach Stefans Häutungen erschienenen Buch schon wesentlich weiter: Sie nennt einen ganzen Katalog von sprachtherapeutischen Mitteln, die sie eingesetzt hat — Mittel, von denen deutschsprachige feministische Schriftstellerinnen m. W. noch weit entfernt sind. »Gynocentric writing means risking« — auch dies könnte natürlich ein Grund für den Rückstand im deutschsprachigen Raum sein.
    Wirklich radikale Sprachkritik begegnet uns hierzulande nur als >anonyme< (und daher unsystematische) Leistung der Frauenbewegung insgesamt sowie im Bereich der feministischen Linguistik. Originale literarische Leistungen liegen diesbezüglich nur als Programm vor. Wir sind also auf Übersetzungen angewiesen, genauer: auf die bisher vorliegenden zwei Übersetzungen der drei Hauptwerke sprachkritischer feministischer Literatur: Mary Dalys Gyn/ecology und Pure Lust sowie Gerd Brantenbergs Egalias dötre.
    Eine feministisch-linguistische Analyse dieser beiden Werke und ihrer Übersetzungen ins Deutsche wird u. a. zeigen, daß die radikale Kritik an der >patriarchalischen Sprache< einerseits zwar überfällig war, andererseits aber natürlich >über das Ziel hinausschießt<. 58 Es stimmt ja einfach nicht, daß jedes Wort >um- und umgedreht< werden muß, wie Stefan es nennt. Betrachten wir einmal diesen zuletzt geschriebenen bzw. gelesenen Satz:

    Es stimmt ja einfach nicht, daß jedes Wort >um- und umgedreht< werden muß, wie Stefan es nennt.

    Ich finde, jedes Wort in diesem Satz ist, wie sicherlich die Mehrzahl aller deutschen Wörter, ziemlich >unschuldig<, m. a. W. keineswegs patriarchalisch verseuchte Es wäre auch in der Tat zum Verzweifeln, wenn es wirklich notwendig wäre, die ganze Sprache neu zu schaffen. Wir brauchten mit einem dermaßen aussichts- und uferlosen Unternehmen gar nicht erst anzufangen. 59 Das Globalprogramm wird ja auch von den Kritikerinnen im Ernst niemals in Angriff genommen, geschweige denn realisiert.
    Wirklich radikal, weil folgenreicher, ist deshalb m. E. nur eine weniger >radikaleSado-Ritual< bezeichnet. Diskursübergreifend sind patriarchalische Stiltechniken wie >dem Opfer die Schuld geben<, >Unterschlagung des Unterdrückers<, >männliche Selbstverallgemeinerung und -verherrlichung<, >Abwertung alles Weiblichen<, >fehlende Empathie für Frauen< etc. 60
    Die Entlarvung derartiger Sprachpathologien und die Schaffung von mehr und mehr Gynozentrischen Re-Visionen ist die wichtigste Aufgabe der »drei >L< — Laiinnen, Linguistinnen, Literatinnen — der internationalen feministischen Sprachkritik« für die kommenden Jahre. Für den englischen Sprachraum ist ein beträchtlicher Teil dieser Aufgabe bereits geleistet: Cheris Kramaraes und Paula A. Treichlers A Feminist Dictionary ist für alle, die an der Gynozentrierung unseres >überkommenen Sprachguts< interessiert sind und mitarbeiten wollen, eine Fundgrube an Anregungen, Aha-Erlebnissen und umwälzenden Erkenntnissen. Für mich ist dieses Standardwerk der beiden feministischen Linguistinnen, an dem sie mit Ann Russo und zahlreichen freiwilligen Mitarbeiterinnen und Sammlerinnen (und etlichen Computern) drei Jahre lang gearbeitet haben, der wichtigste Beitrag zur internationalen feministischen Sprachkritik in den achtziger Jahren.

    1986

Alle Menschen

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