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Alle Menschen werden Schwestern

Alle Menschen werden Schwestern

Titel: Alle Menschen werden Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luise F. Pusch
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Mensch< eine Frau ist: »By age 17 a human being may know 80,000 words; how does she do it?« Dieses she, gedacht als sanfte Therapie, trifft Männer in der Regel wie ein Schock; bei Frauen löst es ein nie gekanntes Gefühl der Befriedigung aus, gemischt mit etwas Angst und »weiblichem Mitgefühl« für das nunmehr untergebutterte andere Geschlecht: »So also würde sich die Welt anfühlen, wenn wir als die Norm gälten.« Oder stellen wir uns vor, in der Geometrie gäbe es wie gehabt die Begriffe »Kreis« und »Quadrat«, aber der Oberbegriff für beide wäre »Quadrat« — drei Kreise und zwei Quadrate wären also zusammen fünf Quadrate. Mit einer derart konfusen Begriffsbildung würde die Geometrie vermutlich nicht weit kommen... Letztes Beispiel: Stellen wir uns vor, es habe eine CDU-Veranstaltung stattgefunden, bei der auch ein SPD-Mitglied zugegen war. Am nächsten Tag berichtet die Presse von einer SPD-Veranstaltung. Die CDU würde aufjaulen. Wir Frauen aber sind es gewohnt, der »Gegenpartei« zugezählt und somit ausgelöscht zu werden; die Metapher des Genus hat ganze Arbeit geleistet.

    So jedenfalls sah es bis vor kurzem aus. Inzwischen aber, seit Beginn der Neuen Frauenbewegung, wehren sich immer mehr Frauen gegen die männliche Vorherrschaft in der Sprache. Im folgenden möchte ich

    1. die Geschichte dieses Protests skizzieren
    2. weitere unschöne Aspekte der Metapher des Genus diskutieren
    3. davor warnen, eine Strategie, die für das Englische (eine Sprache ohne Genus!) entwickelt wurde, sozusagen blindlings auf Genus-Sprachen zu übertragen,
    4. eine Reihe von Argumenten für die »Totale Feminisierung« anstelle der bisher als Lösung propagierten »partiellen Feminisierung« vortragen.

2 Unschön und schwerfällig — die »englische Lösung« der partiellen Feminisierung, angewandt auf die europäischen Genus-Sprachen

    Der Protest gegen den Sexismus in der Sprache begann in den USA, und um 1978 setzte die Diskussion über die Feminisierung und somit Therapierung der patriarchalischen Sprachen auch in Europa ein. Als Vorbild dienten dabei die Methoden, die von Feministinnen in den USA für die Therapierung der englischen Männersprache ( Manglish ) entwickelt worden waren. Nur: Es gibt einen gravierenden Unterschied zwischen dem Englischen und den meisten anderen europäischen Sprachen: Das Englische besitzt kein grammatisches Genus, was die Therapie zu einer relativ simplen Sache macht: Wenn von a doctor, a Student o.ä. im allgemeinen die Rede ist, wird anschließend nicht mehr wie ehedem mit he, sondern mit he or sehe oder s/he fortgefahren, und damit hat sich die Sache. Die Mehrzahl der europäischen Sprachen jedoch ist geprägt vom grammatischen Genus und der Herrschaft des maskulinen über das feminine Genus:

    [Französisch, Spanisch, Italienisch, Rumänisch, Portugiesisch, Russisch, Polnisch, Tschechisch, Serbokroatisch, Deutsch, Griechisch und — mit Einschränkungen — die skandinavischen Sprachen Norwegisch, Schwedisch und Dänisch sowie das Niederländische] stimmen in folgenden Regularitäten überein: Frauen haben nicht dieselben Chancen des Gemeintseins wie Männer. Maskulina können sich generell nicht nur auf männliche Referenten beziehen, sondern auch auf gemischtgeschlechtliche Gruppen. Diese zweite Funktion wird als sog. generische oder geschlechtsabstrahierende Funktion bezeichnet.
    Feminina haben dagegen eine ausschließlich geschlechtsspezifizierende Funktion. Danach kann eine Personengruppe, die aus 49 Studentinnen und einem Studenten besteht, im Deutschen wie in allen anderen der genannten Sprachen nicht als »fünfzig Studentinnen« bezeichnet werden, es muß vielmehr heißen »fünfzig Studenten«. Maskulina sind also mehrdeutig und schließen Feminina manchmal ein, manchmal aber nicht; vgl. das folgende Beispiel aus dem Spanischen: Al italiano le gustan las operas »Der Italiener (die Italienerin) liebt die Opern« gegenüber Al italiano le gustan las mujeres »Der Italiener liebt die Frauen«.
    Die Konsequenz des Gebrauchs generischer Maskulina ist die Unsichtbarkeit von Frauen und ihren Leistungen in den betreffenden Sprachen.
    Die zweite Regularität betrifft die semantische Asymmetrie maskuliner und femininer Ausdrücke. Dabei kommt dem Femininum generell ein niedrigerer Rang zu als dem Maskulinum; vgl. engl, master/mistress ; dt. Gouverneur/Gouvernante; ital. maestro »Lehrer, großer Meister «/maestra »Lehrerin«; filosofo »Philosoph«/ filosofessa

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