Alle müssen sterben - Thriller (German Edition)
würde.
„Mein Gott! Wie tief bist du schon gesunken, Lenka“, rief er und band sich die Schuhbänder seiner Sneakers zu. „Du bist und bleibst eben eine Nutte.“
„Lass Gott aus dem Spiel!“, brüllte Lenka mit ihrem harten osteuropäischen Akzent und das Hämmern hinter der Schaumstoffverkleidung wurde heftiger. „Ich bin gläubig. Dort, wo ich herkomme, da gehen alle jeden Sonntag in die Kirche.“ Sie machte eine Pause. „Weißt du was, ich pfeife auf deine Hilfe. Lass mich sofort hier raus! Das ist Freiheitsberaubung, das ist Kidnapping!“
„Es ist alles nur zu deinem Besten, Lenka.“ Gruber redete mit salbungsvoller Stimme wie einer von der Telefonseelsorge. „Du schaffst den Entzug und dann bist du ein anderer Mensch. Vertraue mir!“
„Ich scheiße auf deine Hilfe, du perverses Stück Dreck! Du hältst mich hier gefangen und holst dir einen runter, wenn ich durchdrehe!“
„Lenka, wie gesagt, es ist zu deinem Besten. Und versuche nicht den Notruf zu wählen, denn die verständigen sofort die Polizei und dann wirst du abgeschoben!“
Nachdenklich trennte Gruber die Verbindung und starrte auf das iPhone. Als es unten an der Haustür klingelte, straffte er seinen Oberkörper, lächelte seinem Spiegelbild in dem wandhohen Spiegel neben der Eingangstür mit hochgestrecktem Daumen zu und fuhr mit dem Aufzug nach unten, wo sein Boss schon ungeduldig im Regen auf ihn wartete.
10. Die Fahrt zum schwarzen See
Der verbeulte Range Rover, der mitten auf der Fahrbahn im Regen stand, hatte ein leuchtend oranges Graffiti an der Wagentür der Fahrerseite, das einen halb fertigen Eindruck machte. Tony Braun hatte zwar noch in der Nacht versucht, in einer 24-Stunden-Waschanlage das Graffiti zu entfernen, aber seine Versuche waren zwecklos gewesen und so hatte er entnervt aufgegeben. Er war jetzt bereits über 24 Stunden auf den Beinen und seine Laune war dementsprechend schlecht. Als er seinen Partner durch den Regen laufen sah, drückte er genervt auf die Hupe.
„Wo bleibst du so lange? Ich warte hier in dem Scheißregen, bloß weil du deine kleine Drogen-Freundin unbedingt noch therapieren musst!“
„Braun, tu mir einen Gefallen, okay? Sei einfach still!“
Inspektor Dominik Gruber, Brauns langjähriger Partner, kroch auf den Beifahrersitz, schüttelte seine nassen Haare wie ein Hund und gähnte herzhaft. Braun fand, dass er ziemlich mitgenommen aussah. Mitgenommen war noch untertrieben, denn Gruber sah echt scheiße aus! Kein bisschen mehr der Modeltyp, der er früher gewesen war. Seine ansonsten so modisch geschnittenen blonden Haare hingen ihm wirr in die Stirn, waren am Ansatz schon nachgedunkelt und hätten dringend eine frische Färbung vertragen. Seine Haut war fahl und er hatte dunkle Ringe unter den Augen. Außerdem stank er durchdringend nach Alkohol, was auch die dicke Wolke Rasierwasser, die er aufgetragen hatte, nicht kaschieren konnte. Wahrscheinlich hatte sich Gruber wieder die Nacht um die Ohren geschlagen, bei dem Versuch, den Therapeuten zu spielen. Vielleicht war jetzt auf der Fahrt nach Gmunden der richtige Moment, ihn auf seine vertrackte private Situation anzusprechen. Denn außer Braun wusste niemand bei der Mordkommission Bescheid, dass Gruber sich mit dem drogensüchtigen Mädchen Lenka in eine Sache verstrickt hatte, die ihm langsam über den Kopf zu wachsen schien.
„Wie geht es Lenka, schafft sie den Entzug?“
„Braun, ich will nicht darüber reden. Geht das nicht in deinen Schädel? Ich stochere doch auch nicht ständig in deinem Privatleben herum.“
„Könntest du aber, ich habe nichts dagegen.“
„Kann ich mir denken. Du hast ja auch kein Privatleben!“
„Du bist und bleibst ein Arschloch, Gruber!“
Das war das Ende der Unterhaltung und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Die Scheibenwischer des Range Rovers hatten Mühe, die Wassermassen wegzuschaufeln, die im Augenblick von Himmel klatschten. Um diese Zeit war selbst in der Industriezeile beim Hafen noch kein Stau und sie kamen zügig auf den Autobahnzubringer, der direkt an Brauns Wohnblock vorbei und auf Höhe seiner Wohnung auf die vierspurige Autobahn führte. Wenn Braun nachts seine umfangreiche Schallplattensammlung ordnete, dann lieferten die Scheinwerfer der vorbeifahrenden Autos dazu die perfekte Lightshow auf seinen nackten Wänden.
Früher war Brauns geräumige Wohnung ein einziger Müllhaufen gewesen, aber seit sein Sohn Jimmy wieder bei ihm wohnte, hatte er das Wohnungschaos
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