Alle Rache Will Ewigkeit
Patienten die halbe Nacht wach gewesen, sondern weil sie und ihre Freundin sich immer noch genauso unwiderstehlich fanden wie am Anfang. Die halbe Nacht wach und nicht müde, sondern aufgekratzt und nur körperlich erschöpft wegen ihrer Leidenschaft, nicht weil sie sich um andere Menschen hatte kümmern müssen, die Schmerzen litten.
Als sie auf den Tavistock Square einbog und sich der imposanten Portlandzement-Fassade des Wohnblocks gegenübersah, in dem sie noch immer wohnte, wurden ihre Glücksgefühle getrübt. Eine herrschaftliche Vierzimmerwohnung im Herzen von London, nur ein paar Minuten von ihrem Arbeitsplatz entfernt – das übertraf die wildesten Träume ihrer jungen Arztkollegen. Sie mussten sich entweder mit beengten, unzulänglichen Innenstadtwohnungen zufriedengeben oder mit etwas geräumigeren Unterkünften in ungünstig gelegenen Vororten. Magdas Heim war eine luxuriöse Oase, ein Ort, der ihr eine angenehme und trostspendende Zuflucht bot vor allem, mit dem die Welt sie konfrontierte.
Philip hatte auf einer geräumigen Wohnung bestanden. Für seine Magda war ihm nichts zu teuer gewesen. Sie könnten es sich leisten, hatte er beharrt.
»Na ja, du schon«, hatte sie geantwortet und sich nur ungern eingestanden, dass sie sich von Philip abhängig machte, wenn sie das akzeptierte. Daraufhin hatten sie eine Auswahl von Wohnungen besichtigt, die Magda das Gefühl gaben, zum Jetset zu gehören. Die Wohnung, für die sie sich schließlich entschieden, kam noch am wenigsten einem Wunschtraum gleich. Deren traditionelle Ausstattung passte noch am ehesten zu dem weitläufigen viktorianischen Haus in Nord-Oxford, in dem Magda aufgewachsen war. Die aggressive Modernität der anderen Wohnungen kam ihr zu fremd vor. Es war unmöglich, sich vorzustellen, dass sie in Räumen leben würde, die aussahen, als entsprängen sie direkt einem Lifestylemagazin.
Als sie sich erst einmal eingelebt hatte, war schließlich doch alles ganz anders gekommen, als Magda es sich vorgestellt hatte. Philip hatte kaum Zeit gehabt, sich den schummerigen Weg vom Bett zum Badezimmer einzuprägen, als er auch schon ermordet wurde. Die Gespräche beim Frühstück und die Unterhaltungen am Abend, die Magda sich ausgemalt hatte, konnten nicht mehr zur Gewohnheit werden. Gelegentlich fühlte sie sich deshalb fast erleichtert, was jedoch Scham- und Schuldgefühle in ihr aufsteigen ließ, die ihr eine tiefe Röte in die Wangen trieben. Sie war wohl doch noch sehr tief in der Welt der bürgerlichen Moralvorstellungen verankert.
Aber sie wollte lockerer werden. Wenn sie ehrlich war, kam sie nach einer Nacht mit Jay immer gern in ihre Wohnung nach Haus zurück. Wenn sie aus dem Bett stieg und die Kleider von gestern wieder anzog, hatte das etwas leicht Ordinäres; ungewaschen in der U-Bahn durch London zu fahren in dem Bewusstsein, dass sie erdig und salzig roch, hatte etwas Liederliches. Sie hatten sich schon lange vor dem Prozess geeinigt, dass sie nicht zusammen wohnen konnten, bis alles vorbei und endgültig erledigt wäre. Jay hatte erklärt, sie sollten vorerst zurückhaltend sein und keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen, denn dadurch werde womöglich die Schuld anderer Leute verwischt. Sie schlug nicht vor, dass sie ihre Beziehung geheim halten sollten, sondern fand einfach, es sei vernünftig, sie nicht an die große Glocke zu hängen.
Also kam Magda morgens allein nach Haus. Die gebrauchte Kleidung kam in den Wäschekorb, der schmutzige Körper unter die Dusche. Kaffee, Orangensaft, Teekuchen aus dem Kühlfach in den Toaster, dann ein dünner Aufstrich Erdnussbutter. Ein weiteres dezentes Outfit für das Gericht. Und wieder ein Tag, an dem ihr Jay fehlen und sie wünschen würde, sie wäre an ihrer Seite.
Es ging nicht nur darum, dass sie sich der einschüchternden Ehrwürdigkeit des Old Bailey ohne Begleitung stellen musste. Ihre drei Geschwister hatten einen Plan ausgearbeitet, nach dem immer einer von ihnen zumindest einen Teil jedes Prozesstages bei ihr war. Gestern war der dunkelhaarige, grüblerische Patrick da gewesen. Offensichtlich aus einem lästigen Pflichtgefühl gegenüber seiner großen Schwester, die sich immer um ihn gekümmert hatte, war er seinem Schreibtisch in der City ferngeblieben. Heute würde es Catherine sein, das Nesthäkchen, die ihre anthropologischen Studien vernachlässigte, um Magda beistehen zu können. »Wheelie wird sich wenigstens freuen, mich zu sehen«, sagte Magda zu ihrem dunstigen Abbild im
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