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Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Titel: Alle Toten fliegen hoch: Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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sah unmittelbar unter der Wasseroberfläche auch nicht mehr ganz so Furcht einflößend aus. Ich legte die Angel auf den Steg und hob ihn, die Schnur fassend, aus dem Wasser. Er war schon halb draußen. Ich hörte Randy noch »Nein, don’t do that!« brüllen. Ich hielt den sich windenden Fisch vor mir in der Luft und da fiel er zurück ins Wasser, klatschte auf die Oberfläche. Randy stieß mich zur Seite und sah auf die Angel. Der Aal lag benommen, unendlich erschöpft im Wasser. Randy legte sich flach auf den Steg und griff mit den Händen nach dem Aal. Er konnte ihn sogar festhalten. Aber sobald er ihn auch nur ein ganz klein wenig aus dem Wasser hob, entglitt er ihm. »Los, hol das Netz!« Aber der Kescher war noch immer nicht auseinandergezogen. Das Keschernetz in sich verknotet, ein unentwirrbares Knäuel. »Ich schaffe es nicht. Ich hab das doch noch nie gemacht.« Der Aal war immer noch völlig apathisch. Randy fluchte: »Fuck! Jesus Christ!« Er versuchte, den Fisch in Richtung des halbgesunkenen Bootes zu ziehen, ihn hinüberzuschieben. Zärtlich zog er ihn! Er hatte es fast geschafft, da kam der Aal zu sich und mit einer einzigen kraftvollen Bewegung verschwand er in der Tiefe.
    Randy stand auf. Ich wusste nicht, was jetzt passieren würde, ich war mir nicht sicher, ob es wirklich meine Schuld war. Randy untersuchte den Angelhaken und zeigte ihn mir im Licht der Taschenlampe. Der Haken war aufgebogen. Kein Haken mehr, ein gerades Stück Draht! Aufgebogen vom Gewicht des Fisches über Wasser. »Nie«, sagte Randy freundlich zu mir, »never ever darf man einen so großen Aal einfach aus dem Wasser heben.« »Woher soll ich das denn wissen, ich wollte ihn doch nur so schnell wie möglich rausholen.« Randy schnitt den Haken ab und knotete einen neuen, etwas größeren an die Angelsehne. »Jetzt ist die beste Zeit«, sagte er, »vielleicht kriegen wir ja noch einen.«
    Wir fingen in dieser Nacht noch mehrere Aale, doch jedes Mal hörte man schon am Bimmeln des Glöckchens, dass sie nicht so groß sein würden wie der erste. Randy zog sie einfach so an Land, ohne den kleinen Bügel an seiner Angelrolle umzulegen. Mit dem Hakenlöser stocherte er ihnen im Maul herum, mit dem Totschläger schlug er ihnen mehrmals auf den Kopf. Mir kam das etwas übertrieben vor, wie oft und heftig er auf die schwarzen Aalköpfe einschlug. Dann schnitt er ihnen mit dem Messer den Bauch auf und strich mit dem Daumen die Eingeweide heraus. Als es hell wurde, hatten wir fünf Aale gefangen. Obwohl sie schon tot waren, zappelten sie hin und wieder in der Plastiktüte herum. Randy sprach über das Nervenkostüm der Aale und davon, dass sie sogar noch in der Pfanne zucken würden.
    Er sagte: »Aale sind die Tiere, die ihren Tod am längsten überleben.«
    Gleich nach Beginn des Schuljahres hatte ich an mehreren gut sichtbaren Punkten und am sogenannten Schwarzen Brett Zettel aufgehängt. Zettel, die bekannt gaben, dass von nun an zweimal die Woche am Nachmittag ein Basketballtraining in der Turnhalle stattfinden würde. Unter meiner Leitung. Ich hätte gerne wesentlich mehr Einheiten absolviert, doch die anderweitige Nutzung der Turnhalle ließ dies nicht zu. Auf meinen Vorschlag, dreimal die Woche vor der Schule, ganz früh am Morgen, von sechs bis Viertel vor acht zu trainieren, wurde mit Unverständnis und Ablehnung reagiert. Der Hausmeister, den ich aufsuchte, um ihn zu bitten, die Halle so früh aufzuschließen, sagte nur trocken: »Um halb sechs? Ich bin doch kein Milchmann!« Ich hätte gerne die Spieler knallhart auf ihre Fähigkeiten hin geprüft und anschließend ausgesiebt. Doch zum ersten Training erschienen nur acht Interessierte. Acht! Das war bitter für mich, da ich mir in vielen Stunden ausgemalt hatte, wie ich dem Basketballsport in meiner abgelegenen Heimat auf die Sprünge helfen würde. Doch das, was sich da in der Turnhalle versammelt hatte, war ernüchternd. Mich selbst sah ich in einer Doppelfunktion. Nicht nur als Trainer, sondern auch als Führungsspieler wollte ich meiner Mannschaft dienen. Ich hatte in Laramie alle Trainingspläne gesammelt und fein säuberlich abgeheftet. Gegenüber den acht Schülern, die immerhin gekommen waren, vergriff ich mich vom ersten Moment an fatal im Ton. Ich schimpfte, fluchte auf Englisch und brüllte rum. Ungeduldig und besserwisserisch korrigierte ich Fehler beim Wurf und passte einem schmächtigen Jungen den Ball so scharf zu, dass er ihn nicht fangen konnte und voll auf

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