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Allein in der Wildnis

Allein in der Wildnis

Titel: Allein in der Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne LaBastille
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war es dunkel, denn wenn ich fortgehe, mache ich immer die Propangaslampen aus.
    Eiskalte Wellen peitschten gegen das Boot, Schaum näßte mich und gefror sofort. Behutsam in Blindpeilung aufs Ufer zuhaltend, blieb mir um Haaresbreite eine Kollision mit den Felsen an meiner Landzunge erspart. Ich stellte die Maschine ab und stakte das Boot in tieferes Wasser und zum Landesteg. In den Wänden meines Hauses, mein triefendes Zeug vor dem Franklin-Ofen trocknend, zog ich den durchnäßten Geldschein aus der Tasche und betrachtete ihn nachdenklich. Hatte ich ihn annehmen dürfen? Hatte ich überhaupt fahren dürfen? Ich legte ihn zum Trocknen neben den Ofen und zuckte die Achseln. Solche Entscheidungen fallen hier in den Nordwäldern immer zugunsten des hilfsbedürftigen Mitmenschen.
    Ein paar Tage später, bei einsetzender Seevereisung, fand ich mich wieder als Hilfeleistende. Zwei ältere Eheleute verbrachten gegen Ende November die Thanksgiving-Ferien in ihrem Sommerhäuschen. Der Mann bekam einen Herzanfall. Per Funk wurden Notarzt, Boot, Krankenwagen hergerufen, der Mann evakuiert. Die Frau blieb, um die Sachen zu packen und das Haus zu schließen. Sie wußte nicht, wann — oder ob überhaupt — sie zurückkommen konnten. Am Abend vor Thanksgiving fiel das Thermometer auf zwölf Grad unter Null. Eine Eisschicht überflog den ganzen See. Jetzt machte der Winter wohl ernst. Das Eis wuchs, rasch und gnadenlos. Noch eine Nacht wie diese, und der See würde bis zum Frühjahr fest zugefroren sein.
    Mit meinem Boot durch zentimeterdickes Eis brechend, fuhr ich hin, um dieser freundlichen Dame beizustehen. Koffer, Kisten, Kästen stapelten sich an ihrer Haustüre. Unmöglich, sie alle in einer einzigen Fahrt mitzunehmen. Meine Nachbarin war zu verängstigt und zu beschäftigt, um ihr Haus zu verlassen; aber Stunde um Stunde verdickte sich das Eis auf dem See. Ich schlug vor, ihr Boot vollzuladen und es hinter dem meinen zum Anleger zu schleppen. Sie sorgte sich, was geschehen könnte, wenn mein Boot im Eis leckschlüge und sänke.
    »Keine Bange, dann springe ich in Ihres«, beruhigte ich sie, »und rudere zurück. Wir müssen uns beeilen, damit Sie vor der Dunkelheit hier wegkommen.«
    Den Weg zum Anleger bahnte ich mir nach dem Eisbrecherprinzip: Bug aufs Eis — das jetzt schon zwei Zentimeter messen mochte — , Gas geben, das Eis unter dem Bootsgewicht brechen lassen. Ohrenbetäubend und bedrohlich der Lärm, mit dem die Schollen gegen die Aluminiumrümpfe krachten und schabten. Wo das Eis zu dick war, stellte ich den Motor auf Leerlauf, ging nach vorn und hackte das Eis mit einem Metallruder auf. Eine Stunde brauchte ich, um die anderthalb Kilometer zurückzulegen und die Sachen am Anleger zu deponieren.
    Auf der Rückfahrt merkte ich, daß der geöffnete Kanal bereits wieder mit einer leichten Eisglasur überzogen war. Wir aßen hastig ein Truthahn-Sandwich — unser Thanksgiving-Dinner. Dann machte ich die zweite Fahrt mit zwei Booten, das eine mit Kisten und Papieren beladen. Beim dritten Trip war meine Nachbarin reisefertig, schloß ihr Haus, und ich nahm sie in mein Boot und setzte sie am Anleger ab, wo ihr Wagen wartete. Zwielicht senkte sich. Wir umarmten uns traurig, und ich wartete, bis ich sie hatte abfahren sehen.
    Eine tödliche Stille lag über dem Black Bear Lake, nur von einem fast unhörbaren Knistern durchbrochen: Eis bildete sich. Ich war völlig allein. Ins Boot kletternd, sah ich, daß es in der kurzen Zeit am Anleger schon wieder vom Eis eingekreist worden war. Ich setzte zurück in die Fahrrinne, Eisstücke unter die Schraube saugend. Bis zur Blockhütte erstreckte sich der See als reglose graue Fläche. Leise Furcht flackerte mir durchs Herz. Das See-Eis bildete sich schneller, als ich es brechen konnte!
    Jäh wurde mir der Ernst der Lage bewußt. Würde ich es bis zu meinem Zuhause schaffen, oder würde ich mitten im Black Bear Lake festfrieren? Wenn mich das Eis mit dem Boot gefangennahm, gab es keine Möglichkeit mehr, ans Ufer zu kommen. Zum Darüberlaufen war das Eis noch zu dünn, zum Aufhacken mit dem Ruder aber wahrscheinlich bereits zu dick. Hätte ich nur daran gedacht, eine Axt mitzunehmen! Der Gedanke kam: Vielleicht erfrierst du hier, auf dem See, in Sichtweite deiner Hütte.

    Adrenalin durchschoß mich. Ich ließ den Motor aufheulen und rammte das Boot in die schmale Fahrrinne hinein, schneller als ihm eigentlich zuzumuten war. Das Boot meiner Nachbarin hatten wir am Anleger

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