Allein in der Wildnis
als seine Studiowohnung in Albany — als Heimathafen betrachtete. Aber ich mußte sie praktisch allein in Ordnung halten, was er mehr oder weniger als gegeben hinnahm. Manchmal spürte ich auch, daß er sich über meine Liebe zum Haus und zum Land ärgerte.
Ich war in einem chronischen Entscheidungsnotstand. Entweder machte ich wie bisher kompetent und selbständig weiter. Aber dann lief ich Gefahr, mir den Mann zu entfremden, der mir etwas bedeutete, und mußte die Situation mit viel Geschick und Diplomatie bewältigen. Oder ich spielte das klassische blonde Dummchen, die hilflose Frau, um das Ego meines Mannes aufzubauen. Dabei nahm jedoch meine Selbstachtung Schaden. Dies mußte — so überlegte ich mir oft — ein Grundproblem und Grundkonflikt der Frauenbewegung sein. Jedenfalls war es bei mir so.
Das Wochenende zog sich in die Länge. Mehrere Male diskutierten wir das Für und Wider eines Umzugs nach Alaska. Was sollte mit der Hütte werden? Wieviel Arbeit würde das Packen machen? Sollte ich meine Bücher als Fracht schicken oder in einem Anhänger mitnehmen? Würde Pitzi die dreiwöchige Fahrt verkraften? Welches unserer Autos war alaska-tauglich? Was sollte mit dem anderen geschehen? Konnte ich die für den Herbst vereinbarten drei Beraterjobs einfach absagen? Würde es vom fernen Alaska aus möglich sein, mit Redaktionen und Verlagen in den Oststaaten in Fühlung zu bleiben? Und während der ganzen Debatte fragte Nick mich nie: »Willst du mich heiraten?«
Als er Sonntag nachmittag abfuhr, war keine definitive Entscheidung in Worten ausgesprochen worden. Aber wir wußten es beide; wir hatten nur Angst, es zu sagen. Am Donnerstag enthielt der Postsack ein Briefchen von ihm. Darin stand:
Baby:
Ich habe noch so viel zu tun mit den Reisevorbereitungen. Nur noch gut einen Monat bis zum Arbeitsantritt. Ich glaube, wir können das kommende Wochenende beide besser nutzen, wenn wir allein sind. Hoffentlich erwägst Du, mitzukommen. Paß auf Dich auf. Bis bald.
In Liebe, Nick
Noch zweimal habe ich ihn gesehen, ehe er nach Alaska fuhr. So sehr wir einander liebten: Er konnte nicht bleiben, und ich konnte nicht fort.
Zwei Jahre hatten zwischen unserer Begegnung auf dem Bahndamm und unserer Trennung gelegen. Die Einsamkeit, die wieder über der Hütte zusammenschlug, war eine andere als die, die ich seinerzeit beim Einzug empfunden hatte. Jetzt war eine Spur Erleichterung dabei, ein Gefühl, die richtige Entscheidung getroffen zu haben; dennoch war die Last genauso schwer wie damals. Es hieß wieder, ums emotionale Überleben kämpfen. Ich habe ein starkes Bedürfnis nach Liebe — sie zu bekommen und sie zu geben — , aber das ist schwer zu stillen, wenn man hier in den Wäldern allein lebt. Ich kann Zuneigung ausschütten über Hütte, Land, Hund, Freunde, Kollegen und zwei Patenkinder; aber es bleibt ein Vakuum, das sich nur durch die Liebe eines Mannes füllen läßt.
Daß ich Nick in den Adirondacks kennenlernte, war ein Glückszufall gewesen. Es ist hier schwer, einen Mann mit den gleichen Interessen, mit vergleichbarem Background und Bildungsstand zu finden. Die meisten der in Frage kommenden Männer, die ich kenne, arbeiten und wohnen in Städten oder an Universitäten. Ich treffe sie nur, wenn ich verreise, auf Tagungen gehe, Beraterjobs absolviere.
Der Grundzwiespalt in meinem Leben lautet: Hütte oder Stadt. Eine endgültige Antwort darauf habe ich noch nicht gefunden. Ich arbeite einfach weiter, bewege mich durch die Wälder und durch die Welt — und hoffe...
18
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Intermezzo in Washington
Mein Traum war wahrgeworden. Zehn Jahre hatte ich in einer Blockhütte im Wald gewohnt, und die einzigen Unterbrechungen hatten in meinen Promotionsvorbereitungen an der Uni und gelegentlichen Berufsreisen bestanden. Land, Bäume, Wasser und Wildtiere hatte ich intim kennengelernt. Hier war ich zu Hause.
Nun flatterte auch mir ein verlockendes Angebot auf den Tisch: eine hochbezahlte, auf einen Winter befristete Stelle bei einer angesehenen Washingtoner Naturschutzorganisation. Da die Offerte so kurz nach meinem Bruch mit Nick kam, nahm ich sie an. Die Abwechslung würde mir helfen, über meinen Schmerz hinwegzukommen; dennoch sah ich dem Auszug aus der Hütte mit gemischten Gefühlen entgegen. Seit meiner Geburt in New York City würde dies das erste Mal sein, daß ich länger als ein, zwei Wochen in einer Metropole verbrachte.
An einem frischen Novembertag, kurz vor der Seevereisung,
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