Aller Heiligen Fluch
Familie Smith angedroht wird. Zweierlei allerdings erregt Nelsons Aufmerksamkeit: das Logo, in dem er jetzt eine Schlange erkennt, die unter dem Mond dahingleitet, und der Satz
Die Große Schlange wird ihre Rache fordern.
Er muss an den Saal im Museum denken, an den Sarg und das offene Fenster. Und an den einzelnen Glasschaukasten mit der ausgestopften Schlange darin.
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6
Am Montag fährt Ruth mit dem Gefühl zur Arbeit, gleich mehrere Hürden erfolgreich genommen zu haben. Kates Geburtstagsparty (die natürlich eigentlich keine Hürde sein sollte, aber trotzdem) ist ganz gut gelaufen, und der neue Nachbar ist weder ein hipper Sushi-Freund noch ein seltsamer Algensammler. Zugegeben, etwas seltsam hat er anfangs schon gewirkt, allein dadurch, dass er die Haare in einer Art Sumoringer-Knoten trug und an den Füßen nur lederne Flip-Flops, trotz der Witterung. Und dann der Name! Sie musste ihn bitten, ihn noch einmal zu wiederholen.
«Bob Woonunga.» Er grinste, und seine Zähne leuchteten weiß in seinem dunkelbraunen Gesicht.
«Oh. Das ist … ein ungewöhnlicher Name.»
«Der Name eines australischen Ureinwohners», erläuterte er. Sie hatten es sich inzwischen in Ruths Küche bequem gemacht und tranken Tee. Kate lag immer noch schlafend auf dem Sofa.
«Sicher im Land der Träume», bemerkte Bob. «Wecken Sie sie bloß nicht auf.»
Australischer Ureinwohner? Hieß das, er war ein Aborigine? Durfte man heute überhaupt noch Aborigine sagen? Ruth entschied sich für ein neutrales: «Dann sind Sie aber weit weg von zu Hause.»
«Ich bin eben ein Herumtreiber.» Bob lächelte. Er sprach mit australischem Akzent, und Ruth stellte fest, dass sie unter anderem deswegen so schnell Vertrauen zu ihm gefasst hatte. Warum bloß? Etwa wegen
Nachbarn
und ähnlicher herzerwärmender australischer Seifenopern? Ruth gesteht es sich nur ungern ein, aber so ist es wohl. Während ihres Studiums war sie süchtig nach
Nachbarn
. Und jetzt hat sie tatsächlich einen waschechten Australier zum Nachbarn.
Sie hätte gern noch mehr über Mr. Woonungas Herumtreiberei erfahren, doch er erzählte kaum etwas, nur, dass er eine befristete Stelle an der University of East Anglia habe, um dort kreatives Schreiben zu unterrichten. Oder wie er es formulierte: «Ein Engagement an der Uni.» Er hat das Häuschen neben Ruth für ein Jahr gemietet.
«Dann sind Sie also Schriftsteller?», fragte Ruth.
«Hauptsächlich Dichter, aber ein paar Romane habe ich auch geschrieben.»
Ruth war beeindruckt. Wie bei den meisten Akademikern ist es auch ihr großes Ziel, aus ihren Forschungen ein Buch zu machen; viel weiter als bis zum Titel,
Tod, Knochen und Verwesung im prähistorischen Britannien
, ist sie damit aber noch nicht gediehen. Wie kann man dem eigenen Erfolg nur so gleichgültig gegenüberstehen, dass man seine Bücher als «ein paar Romane» abtut? Und erfolgreich muss er ja sein, wenn er an der UEA unterrichtet, auch wenn Ruth noch nie von ihm gehört hat.
«Wieso haben Sie sich denn für dieses Haus entschieden?», fragte sie. «Von hier nach Norwich ist es ziemlich weit.»
«Ein Freund hat es mir empfohlen», antwortete Bob und streichelte Flint, der an dem neuen Nachbarn festgewachsen zu sein schien. «Und die Gegend gefällt mir. Hier herrscht ein guter Zauber.»
Ein guter Zauber. Während sie zur University of North Norfolk (eindeutig nur die ärmliche Cousine der angesehenen University of East Anglia) abbiegt, fragt sich Ruth, warum sie darauf eigentlich nicht abwehrend reagiert hat, wie sie es sonst immer tut, wenn von Religion oder Übernatürlichem die Rede ist. Vielleicht, weil sie Bob Woonungas Meinung teilt? Cathbad würde sagen, das Salzmoor sei den Göttern heilig. Erik hat immer von einer symbolischen Landschaft gesprochen, und Nelson bezeichnet es gern als Dreckloch. Für Ruth ist es Heimat, auch wenn sie manchmal rätselt, weshalb sie sich als gebürtige Süd-Londonerin zu solch einem gottverlassenen Ort hingezogen fühlt. Spürt sie in den Treibsandfeldern und den verborgenen Tümpeln etwa auch einen Zauber? Nein. Und doch: Obwohl sie im Salzmoor schon großen Ängsten und Gefahren ausgesetzt war, weiß sie, dass sie nirgendwo sonst leben möchte. Richtig rational ist das nicht, das gibt sie gerne zu.
Ruths Büro befindet sich im Gebäude des Fachbereichs Naturwissenschaft, das mit dem übrigen Campus nur durch einen überdachten Gang verbunden ist. Im Sommer lässt es sich dort ganz gut
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