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Aller Heiligen Fluch

Aller Heiligen Fluch

Titel: Aller Heiligen Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elly Griffiths
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basteln.»
    «Kartoffelstempel?», wiederholt Max lachend.
    «Das kennst du doch», meint Ruth gereizt. «Man schneidet eine Kartoffel durch und schnitzt einen Stern hinein oder so was. Sandra, meine Tagesmutter, macht das ständig. Einmal habe ich es auch versucht. Ich wollte einen Kartoffelstempel mit einem K schnitzen, aber irgendwie habe ich es falsch gemacht, mir war nicht klar, dass es ja spiegelverkehrt sein muss, damit man es dann richtig herum stempeln kann. Kate hat sich sowieso nicht dafür interessiert. Sie ist noch zu klein. Ich wollte das nur für mich selber machen.»
    «Ruth.» Max lächelt immer noch. «Du brauchst keine Kartoffelstempel zu basteln. Du bist klug und schön. Ich bin überzeugt, du bist eine ganz tolle Mutter.»
    Doch in diesem einen Moment ist es Ruth völlig egal, ob sie eine tolle Mutter oder eine brillante Archäologin ist. Max hat gesagt, sie sei schön.
     
    «Soll ich fahren?», fragt Michelle. Nelson schüttelt den Kopf. Abgesehen von den seltenen Gelegenheiten, wenn er mal zu viel getrunken hat, lässt er sich nie von seiner Frau fahren. Das verstößt für ihn gegen die natürliche Ordnung der Dinge.
    «Geht schon», sagt er. «Das kommt nur von der Sonne.»
    Michelle mustert ihn zweifelnd. «Es ist November», sagt sie. «So heiß ist es nicht.»
    «Nach Norfolk findet man alles heiß. Komm, wir fahren.»
    Anfangs geht es noch einigermaßen. Er findet es beruhigend, im Wagen zu sitzen, zu schalten, in den Rückspiegel zu schauen und nicht mehr laufen und reden zu müssen. Doch dann, als sie in die Autobahneinfahrt biegen, fängt die Straße vor ihm plötzlich an zu flirren und löst sich beinahe auf. Einen grauenvollen Augenblick lang glaubt Nelson, einen Laster auf sich zurasen zu sehen. Dann verwandelt sich der Laster in einen Totenschädel mit glühend roten Augen. Und er weiß plötzlich, dass er sich übergeben muss.
    «Harry! Was ist denn?»
    Irgendwie schafft Nelson es auf den Seitenstreifen. Er stolpert aus dem Wagen und erbricht sich heftig ins Unterholz. Ihm ist abwechselnd heiß und kalt. Zusammengekrümmt über dem struppigen Gras am Straßenrand, sieht er mit starrem Blick zu, wie ein Ast sich in eine Schlange verwandelt.
    «Harry.» Michelle legt ihm die Hand auf die Schulter. Sie klingt verängstigt.
    «Alles klar.» Nelson zwingt sich, sich wiederaufzurichten. «Ich hab wohl was Falsches gegessen. Diese Scheiß-Fritten.»
    «Ich fahre», sagt Michelle.
    Diesmal erhebt Nelson keinen Einspruch.
     
    Um halb elf wird Kate wach. Ihr Schreien beginnt als trauriges Wimmern, steigert sich aber rasch zu einem ausgewachsenen Gebrüll. Ruth rennt nach oben und versucht es mit Fern-Beruhigung, so wie die Bücher es vorschreiben. «Alles gut, Kate. Alles gut. Schön wieder einschlafen.» Kate brüllt nur noch lauter, drückt den Rücken durch und schlägt um sich. Der Lärm scheint sich auszudehnen, er füllt das ganze kleine Haus. Weiß der Himmel, was Max sich dabei denkt. Ruth nimmt Kate auf und wandert mit ihr im Zimmer herum. «Ist ja gut. Ist ja gut.» Kate macht sich stocksteif an ihrer Schulter, aber das Geschrei wird immerhin ein bisschen leiser. Ruth fängt an zu singen.
    «Grün, grün, grün sind alle meine Kleider …» Kate hört auf zu schluchzen, macht aber zureichend klar, dass sie sofort wieder anfangen wird, falls Ruth es wagen sollte, sie hinzulegen.
    «Blau, blau, blau sind …»
    «Ist alles in Ordnung mit ihr?»
    Max steht in der Tür. Ruth spürt, wie sie knallrot anläuft. Sie schämt sich, beim Singen ertappt worden zu sein, sie schämt sich, dass sie es so schlecht schafft, mit dieser «Schreiattacke», wie die Fachliteratur das nennt, umzugehen, und sie schämt sich, weil Max in ihrem Schlafzimmer steht, wo sich das Bett breit und unberührt zwischen ihnen erstreckt.
    «Soll ich sie mal nehmen?»
    Ruth reicht ihm Kate, und Max geht mit der Kleinen an der Schulter auf den Gang hinaus. Vom Fuß der Treppe schauen Klaudia und Flint besorgt zu ihnen hoch. Kates Kopf sinkt an Max’ Hals. «Dada», murmelt sie schläfrig.
     
    Als sie die ersten Vororte von Norwich erreichen, ist Nelson schon halb im Delirium. Seltsame Lichter und Gebilde tanzen ihm vor den Augen. Als er zu Michelle hinübersieht, ist ihr Profil ihm wunderbar vertraut, doch sobald sie sich leicht zu ihm hindreht, erkennt er den Schädel unter der Haut.
    «Nicht», murmelt er. «Schau mich nicht …»
    Entschlossen fährt Michelle an der Abzweigung nach King’s Lynn vorbei nach

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