Herzhämmern
1
M artina Schlotterbein, vierzehn Jahre, das bin ich. Zwei Teile davon sind amtlich: der Vorname und das Alter.
Ich stapfe zornig durch knöcheltiefes Laub. Meine Arme rudern, meine Füße wühlen sich bergan, die trockenen Blätter knistern und krachen, ein Eichenschößling legt sich unter meinen Turnschuh und steht wieder auf.
Ich hasse den dritten Teil. Schlotterbein ist nicht mein Nachname, sondern meine verfluchte Eigenschaft.
»Schlü…« Das Rascheln der braunen Blätter übertönt meine Stimme. »Schlüter!«, schreie ich meinen Namen.
Zornig sein ohne Zeugen hat eigentlich wenig Sinn. Aber manchmal kann man nicht anders.
Kevin Radek hat es gesagt und die anderen haben es nachgeäfft. Kevin Radek ist mein blöder Cousin. Ich mache nicht seinetwegen das Wochenende hier mit, der Himmel bewahre mich vor einer solchen Anwandlung. Nein, ich bin mitgekommen, weil auf dem Einladungszettel stand: In die Fränkische Schweiz . In der Fränkischen Schweiz hat Martin, mein Vater, ein Praktikum gemacht, im zweiten Semester, die Unterlagen sind in meiner Klappbox.
Der Zettel für den Wochenendausflug ging durch alle Klassen, es war das Angebot einer kirchlichen Jugendorganisation der Stadt. Sehr preiswert. Aber kaum jemand interessierte sich dafür. Was? Drei Tage ins Grüne?, hieß es. Was sollen wir denn da?
»Ich steh doch nicht auf Grün«, hörte ich Vanessa witzeln, »ich steh auf Bunt, Neonbunt!« Sie brauchte nicht auszuführen, dass sie dabei an die Scheinwerfer in unserer Disco dachte, wo man jeden Samstagabend Mädchen aus meiner Klasse antrifft. Ich war bisher dreimal dort; von den Jungen habe ich keinen gesehen; was sie so machen, weiß ich eigentlich nicht, und es interessiert mich auch nicht. Es reicht mir schon, dass mein blöder Cousin zu ihnen gehört.
Jetzt habe ich wieder eine kleine Eiche umgetreten. Sie ist zum Glück noch biegsam, ein einjähriger Schößling, sie wird sich erholen. Ich schaue in die Baumkronen hinauf - wo steht eigentlich die Eiche, die hier so verschwenderisch streut? Das Laub, in dem meine Füße stecken, ist bunt gemischt, aber beim Blick nach oben sollte ich sie sofort entdecken, denn ihre Blätter dürften gegen die Nachmittagssonne in sattem Braungelb leuchten: Oktoberfarbe. Und da habe ich sie auch schon. Es ist nicht eine, sondern es sind drei, nein vier Eichen, die ich zwischen luftigen Birken, Erlen und Buchen ausmachen kann. Ich folge den Stämmen nach unten und sehe nun auch an der Rinde, dass ich mich nicht geirrt habe.
Das ist meine Spezialität. Ich habe es aufgegeben, mit Leuten aus meiner Klasse darüber reden zu wollen. Um mir dann anzuhören: Na und? Ein Baum! Was soll das? Ein Baum ist ein Baum; wozu muss ich wissen, wie der heißt? Der einzige Baum, den sie zur Not kennen, ist die Birke. Aber auch nur, wenn ihr Stamm weiß ist. Immer ist er das eben nicht. Und alle Nadelbäume sind für sie Tannen. Tannen! Man stelle sich das einmal vor. Selbst einen Apfelbaum erkennen sie nur, wenn Äpfel daran hängen.
Und dann gibt es noch welche, die machen sich größte Sorgen um die Bäume. Sie sehen im Vorüberfahren jede dürre Spitze und jaulen was von Waldsterben und dass wir die Welt, in der wir leben, kaputt machen. Aber sie können keine Weide von einer Pappel unterscheiden. Und da sie nur auf dürre Spitzen achten, entgeht ihnen alles, aber auch alles. Sogar dieses wahnsinnige Herbstbunt der bewaldeten Hügel, naturbunt, nicht neonbunt, rotbraungelbgrün und alle Farben dazwischen.
An einer dicken Buche bleibe ich stehen. Ich umarme den glatten Stamm und lege das Gesicht an die kühle Rinde. Ich fühle, wie der Baum atmet und lebt. Schwer ist er und hart und riesig. Neben ihm bin ich ein Würstchen. Aber ich bin ja sowieso ein Würstchen. Seit heute bin ich Martina Schlotterbein.
Dem Kevin leg ich mal Reißnägel ins Bett. Dem Arsch.
Kevin und die anderen sind nur mitgekommen, weil auf dem Zettel noch stand: Ausflug in die Teufelshöhle . Teufelshöhle, das klang ihnen nach was.
Mir auch. Aber ich war noch nie in einer Höhle gewesen. Ich wusste nicht, dass es dort eng sein kann. Vor allem wenn sich so viele Leute hineinquetschen. Ich wusste es theoretisch, aber ich hatte es noch nicht erlebt. Dass eine komische Luft drin ist, dumpf, feucht und eiskalt. Und dass es, wenn man sich die Lampen wegdenkt, dunkel ist, absolut und rabenschwarz dunkel.
Ich dachte mir die Lampen weg. Und da passierte es, ich kriegte das Zittern. Ich machte die
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