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Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ennio Flaiano
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befohlen); es folgte uns in aller Ruhe, und
wenn wir haltmachten und uns nach ihm umschauten, versteckte es sich, doch es beobachtete uns verstohlen durch die Zweige der Bäume. Die Soldaten hatten ihren Spaß daran. Das Spiel hatte sich umgekehrt. Das Kind folgte uns, es würde bis zum Lager mitkommen, und ich würde es vor meinem Zelt finden mit diesen grüngrauen Augen, und die Wache würde ihm Fußtritte versetzen. Ich war im Begriff, die Ruhe zu verlieren.«Was machen wir mit ihm?», fragte ich den Schmuggler.«Es wird mehr Brot haben wollen», fügte ich hinzu, doch ich wusste, dass es uns nicht wegen des Brotes folgte.
    «Wollen mal sehen», sagte der Schmuggler. Er holte das Kind, und es schloss sich der Gruppe an. Ich wusste nichts zu sagen, und der Feldwebel wagte es nicht.

3
    Der Schmuggler tat es nicht aus Eitelkeit; er wusste gar nicht, was er mit dem«Mohrchen»anfangen sollte. Er war ein einfacher Mann, auch er hatte schon als Kind begonnen, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen, und er brachte es dem Kleinen in wenigen Tagen bei. Er schickte ihn in die Städte der alten Kolonie, um Sachen einzukaufen, die sie dann gemeinsam weiterverkauften,
wobei sie den Verdienst teilten. Nach einer Woche kannte das Kind bereits alle für seinen Handel notwendigen Worte. Es aß sein Brot und schlief zwischen Säcken in einem Lagerraum, und niemand hatte etwas dagegen einzuwenden, so sehr war man schon am Ende; der Tag der Abreise würde, ob nun einen Monat früher oder einen Monat später, ohnehin bald kommen.
    Wenn er nicht gerade seiner Geschäfte wegen unterwegs war, kam der Kleine und setzte sich vor mein Zelt, genau wie ich es vorausgesehen hatte. Er gehorchte den Befehlen von Johannes. Ich war sein«Vater», an mich wandte er sich, wenn er im Zweifel war über die Vor- oder Nachteile irgendeines Geschäfts. Er setzte sich etwas entfernt vom Zelteingang hin und schaute mich so lange an, bis ich geruhte, ihn anzusehen. Dann lächelte er und neigte den Kopf, um es recht deutlich zu machen, dass er mir zu Diensten stehe und dieser Handel mit dem Schmuggler nur ein Zeitvertreib sei.
    «Gut, Elias, wie steht’s mit dem Verdienst?»
    Er nannte mir die genaue Zahl, bot mir die Münzen auf der flachen Hand dar (geradeso wie die Frau es getan hatte), damit ich nach Belieben darüber verfüge. Und er harrte dort aus, auf den Fersen sitzend, genau wie der Alte, der auf dem Hügel saß und seine Toten bewachte. Aber ich liebte das Kind nicht, und seine Anwesenheit
war mir lästig, dieses Lächeln, diese Art, die offene Handfläche darzubieten, diese Art, mich mit äußerster Bewunderung anzustarren, ohne die Augen abzuwenden. Ich nahm es an wie eine Strafe, die leichteste, die ich wählen konnte, aber doch wie eine Strafe.
    «Wie viele Frauen waren im Dorf, Elias?»
    Er dachte lange nach, dann sagte er, es seien drei gewesen.
    «Waren sie sehr alt?»
    Das Kind war unsicher, dann gab es mit Zeichen zu verstehen, dass zwei sehr alt waren, ja, aber eine nicht.
    «Und ist die junge auch tot?»
    Das Kind machte ein Zeichen, das«Nein»bedeutete. Sie war nicht tot. Sie war rechtzeitig fortgegangen, sieben Tage vorher.«Fortgegangen? Und wohin, Elias?»Der Kleine hob das Kinn, um zu sagen, dass er es nicht wisse. Sie war fortgegangen, wie die Frauen eben fortgehen, um sich zu«verheiraten»mit irgendeinem Offizier oder Chauffeur. Sie war ins Hochland gegangen, zu den wunderbaren Städten, wo man in herrlichen Hütten schläft und wo es alles gibt, was man sich nur wünschen kann.
    «War sie deine Schwester?»
    Das Kind schüttelte mehrmals den Kopf, was«Ja»heißen sollte. Wie hatte ich das geraten?

    «Schon gut, Elias, es genügt für heute, die Lektion ist zu Ende.»
    Und Elias ging zu seinem«Impresario», um Anweisungen für den Tag entgegenzunehmen. Er war glücklich; sie hatten ihm eine alte Uniform zurechtgemacht und wuschen ihn oft. Doch am folgenden Morgen fand ich ihn wieder vor meinem Zelt, wie ein Überbleibsel der nächtlichen Gewissensbisse, welche die Zeit nicht zu besänftigen vermochte, denn je mehr ich von der Frau wusste, desto hassenswerter erschien mir mein Verbrechen. Ich wusste ihren Namen, Mariam, und durch Elias’ Erzählungen sah ich sie lachen, singen oder das Brot zubereiten, sah sie zum Fluss hinuntergehen.
    Elias hatte mein Interesse für das Leben des zerstörten Dorfes missverstanden; er glaubte, dass ich ihm mit diesen fortwährenden Fragen nur meine Sympathie bezeigen wollte. Er hielt es

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