009 - Mordaugen
Als das
Telefon schrillte, wußte er im ersten Augenblick nicht, ob er träumte oder ob
es wirklich so war. Dr. Brian Flatcher fluchte leise vor sich hin, tastete im
Dunkeln nach dem Hörer und merkte, daß der Apparat wirklich anschlug. Der Arzt
meldete sich verschlafen. »Ich bin’s, Mike...«, sagte eine gepreßt klingende
Stimme. » Brian! Ich muß dich sprechen.« Flatcher richtete sich unwillkürlich
auf, und zwischen seinen Augen entstand eine steile Falte. Er fragte nicht:
Was, jetzt, mitten in der Nacht? Kannst du dir denn keinen anderen Zeitpunkt
dafür aussuchen? Er sagte: »Worum geht’s, Mike? Du weißt, daß ich immer ein
offenes Ohr für dich habe.« » Es geht mir - schlecht... da ist etwas, worüber
ich unbedingt mit dir sprechen muß. Kann ich zu dir kommen?« »Bist du krank?«
»Nein.«
»Deine Stimme
klingt so merkwürdig.« Brian Flatchers Miene wirkte ernst. »Hast du Schmerzen?«
»Nein.«
»Was ist es
denn?«
»Ein Problem.
Ich muß noch heute Nacht darüber Klarheit gewinnen. Jede Stunde, die ich
zögere, macht alles noch viel schlimmer. Niemand weiß es bisher. Du sollst es
als erster wissen. Ich brauche deinen Rat. Was dabei herauskommt, entscheidet
das Schicksal vieler Menschen.«
Flatcher
verzog die Mundwinkel. Mikes Äußerung klang beinahe feierlich.
Der Arzt
wußte, daß Dr. Mike Coogan in der Forschung an geheimen Projekten für die
Regierung arbeitete.
Ob es damit
zu tun hatte?
»Rufst du von
zu Hause an?« fragte er statt dessen, um den Faden nicht abreißen zu lassen. Er
spürte, daß Mike einen Gesprächspartner brauchte, daß er Verständnis suchte.
»Nein, Das
wäre mir zu gefährlich.«
»Gefährlich?«
Flatcher meinte, sich verhört zu haben. »Wen hast du denn zu fürchten?«
»Viele,
Brian. Stell, dich schon jetzt auf eine gruselige Nacht ein. Was ich dir zu
sagen habe, sprengt dein Vorstellungsvermögen. Für zartbesaitete Gemüter ist
das nichts, aber nicht hier am Telefon. Ich bin in einer Viertelstunde bei
dir.«
Brian
Flatcher wunderte sich. »Dann bist du schon ziemlich nahe an meinem Haus...«
Mike Coogan
wohnte sechzig Meilen von Flatchers Wohnort entfernt.
»Genau,
Brian. Tut mir leid, daß ich dir auf die Nerven falle...«
»Du fällst
mir nicht auf die Nerven.«
»Du hast
deine Nachtruhe nötiger als ich. Schließlich kommt es bei dir öfter vor, daß du
zu Kranken gerufen wirst. Und diesmal bin ich an der Reihe, dir eine oder zwei
Stunden zu rauben. Ich habe nichts anderes auf dem Herzen, als dir etwas zu
erzählen. Ich muß es einfach loswerden.«
»Ich erwarte
dich.«
Wenn Mike
Coogan nicht mal seine charmante Frau zu Rate zog, dann hatte das viel zu
bedeuten. Mehr allerdings konnte auch Dr. Flatcher sich unter den
geheimnisvollen Andeutungen seines Freundes, der mit ihm die Yale-Universität
besucht und wie er dort promoviert hatte, nicht vorstellen.
»Das ist nett
von dir. Vielen Dank! Ich komme sofort.« Das waren Mike Coogans letzte Worte.
Dr. Flatcher
legte auf und hörte nie wieder etwas von seinem Freund.
Er wartete in
dieser Nacht vergebens.
Mike Coogan
kam nicht.
●
Der Mann
hinter dem nierenförmigen Schreibtisch wirkte auf den ersten Blick sympathisch.
Er sah so aus, daß man selbst als Fremder sofort Vertrauen zu ihm fassen
konnte. Daran änderte auch die Tatsache nichts, daß er eine dunkle Brille trug.
Der Mann war
blind. Sein Name - David Gallun. Er war Leiter und Initiator der PSA, er hatte
sie ins Leben gerufen, er war der geheimnisvolle X-RAY-1, der im Hintergrund
die Fäden zog, dessen wahre Identität nur ganz wenigen Menschen bekannt war.
Die Agentinnen und Agenten der PSA kannten ihren Chef nicht persönlich. Nur
seine Stimme, wenn er sich über den PSA- eigenen Funksatelliten meldete, war
ihnen bekannt.
David Gallun
alias X-RAY-1, grauhaarig, väterlich, nahm in seinem Büro die neuesten
Meldungen entgegen. Auf dem Schreibtisch standen mehrere moderne, flache
Tonbandgeräte, in die Platte eingelassen waren Mikrofone, aus einem Schlitz
glitt eine silberfarbene Metall-Folie, auf der in Brailleschrift die
entscheidenden Begebenheiten dieses Tages eingestanzt waren.
Außergewöhnlich
schnell tastete der Blinde die Folie ab.
Seine Miene
war ernst und verschlossen.
»Donald
Richardson«, murmelte er, »verschwunden auf der Fahrt nach Hause. Sein
Verschwinden ist rätselhaft, und es gibt keine vernünftige Erklärung dafür...
Richardson wurde noch gesehen, als er in seinen Wagen stieg und die
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