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Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)

Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)

Titel: Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franka Potente
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berührt. Ihre Finger leicht über das zerbeulte Gesicht gleiten lassen. Er hatte mit geschlossenen Augen dagelegen. Sich klein gemacht. Still gehalten. Dann ein sanfter Kuss unter das unversehrte Auge. »Schlaf gut, Jonny.« Behaglich geflüstert.
    Vorsichtig legte er sich zurück ins Bett. Er wollte sie auf der weichen Matratze nicht zum Schaukeln bringen.
    Das Bettgestell quietschte. Noch immer leises Schnarchen. Sanft schob er das Haar aus ihrem Gesicht. An der Seite ihres Kopfes bemerkte er eine lange Narbe auf der Kopfhaut. Die Haut war knotig und von blassem Violett. Sue zuckte leicht, griff schlafend nach der Decke.
    Behutsam deckte er sie zu. Legte sich seitlich, ihr zugewandt, um nicht zu viel Platz einzunehmen.
    Draußen die ersten Vögel.
    Langsam schob er seine große Hand unter die blonden Locken. Spürte, wie das gekräuselte Haar an der Handinnenfläche kitzelte. So blieb er liegen, bis er wieder eingeschlafen war.
    Der Duft von Kaffee weckte ihn Stunden später. Er blinzelte. Sie hatte die Vorhänge aufgezogen. Grinsend hielt sie ihm eine dampfende Kaffeetasse hin.
    »Hast du die Kaffeemaschine gesehen? Nimmst du Milch, Zucker?«
    Er setzte sich auf. Der Kaffee schmeckte bitter. Billig.
    »Perfekt so!« Er lächelte zurück.
    »Ich hab noch zwei Stunden Zeit, gehst du mit mir am Strand spazieren?« Sie trug wieder das Kleid vom Vorabend.
    Sie verließen das Zimmer über die Veranda. Gingen barfuß, die Kaffeetassen in den Händen. Die Sonne schien jetzt, ein leichter Wind wehte. Er fühlte sich wach und klar.
    Kurz streifte ihn ein Gedanke an Peter.
    Sue stupste ihn an. »Du bist so still. Morgenmuffel?« Sie lachte.
    »Was machst du heute noch? Uni?«
    »Nein, Reha.« Sie leerte den restlichen Kaffee in den Sand. Wurde langsamer.
    »Wegen was?«
    »Ich hatte einen Tumor. Gehirntumor. Vor fünf Jahren. Hatte gerade mit der Uni angefangen.« Sie lächelte. Keine Spur von Schmerz in ihrem Gesicht. »Zig Operationen, Chemo.« Sie griff sich ins Haar. »Kannst du dir mich mit Glatze vorstellen?«
    Mit welcher Leichtigkeit sie davon erzählte.
    »Die Operationen und so, all das war erfolgreich. Hat aber ganz schön gedauert. Ich war achtzehn damals.«
    »Wow.« Sofort ärgerte er sich über seinen oberflächlichen Kommentar.
    »An die Jahre zwischen achtzehn und zwanzig kann ich mich kaum erinnern. Ich konnte eine Zeit lang nicht gehen, sprechen, lesen, all das. Irre, oder?« Lächelnd sah sie ihn an, hakte sich unbefangen unter.
    Sie gingen schweigend weiter. Es war bewölkt. Die Sonne hatte eine Lücke zwischen zwei Wolken gefunden und schien ihnen ins Gesicht.
    Er bemerkte einen Zigarettenstummel im Sand. Hier hatte er gestern noch rauchend gesessen. Hier war ihm klar geworden, wie allein er war.
    Ein Mann mit Hund kam ihnen entgegen. Der Golden Retriever rannte direkt auf Sue zu. Sprang mit sandigen Pfoten an ihr hoch. Sie kniete sich hin und streichelte ihm Kopf und Rücken.
    Der Mann grüßte. Bestimmt hielt er sie für Vater und Tochter. Tim rechnete nach. Wenn sie vor fünf Jahren mit der Uni begonnen hatte, war sie jetzt dreiundzwanzig. Trotzdem, zu jung.
    Sie klopfte sich den Sand vom Kleid, hakte sich wieder unter.
    »Na, jedenfalls gehe ich seither zur Reha. Hast du bemerkt, dass ich manchmal stottere?«
    »Nein, ist mir nicht aufgefallen.«
    Sie lachte. »Schön! Bin auch fast durch mit Reha.«
    Sie drehten um. Der Wind jetzt von hinten. Wirbelte ihre Locken auf.
    Er dachte darüber nach, was sie gesagt hatte, empfand Respekt vor ihrer Reife. Er fühlte einen Anflug von Scham, dass er sie belogen hatte.
    Das Motel kam wieder in Sichtweite.
    »Jonny, komm, ich muss gleich los!« Sie griff seine Hand, und gemeinsam rannten sie über den Strand. Schwer atmend erreichten sie das braune Zimmer. Sie setzte sich aufs Bett und zog ihre Sandalen an. Erhob sich wieder.
    Unbewegt stand er da. War sich nicht sicher, wohin mit den Händen. Zog die Bettdecke gerade.
    »Wenn du magst, komme ich später wieder.« Direkter Blick.
    Er musste erleichtert lachen. Hatte mit einem seltsamen Abschied gerechnet. »Ja!« Er fuhr sich durchs Haar. Warum nicht?
    »Okay, dann … bis später!« Die Tür fiel hinter ihr ins Schloss.
    Benommen stand er noch immer mitten im Raum. »Sue«, sagte er leise zu sich selbst. Musste über sich lachen. Sie war so jung. Er sah sich im Flurspiegel. Der Dreitagebart war dichter geworden. Überdeckte jetzt die blauen Flecken. Auge und Lippe waren abgeschwollen.
    Er musste dringend

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