Traeume Suess, Mein Maedchen
Prolog
Drei Uhr in der Früh. Seine liebste Tageszeit. Der Himmel war dunkel, die Straßen waren verlassen. Die meisten Menschen schliefen. Wie die Frau im Schlafzimmer am Ende des Flures. Er fragte sich, ob sie träumte, und lächelte bei dem Gedanken, dass ihr Albtraum erst beginnen sollte.
Er lachte, sorgfältig darauf bedacht, keinen Laut von sich zu geben. Es wäre sinnlos, sie zu wecken, bevor er entschieden hatte, wie er vorgehen wollte. Er stellte sich vor, wie sie sich im Bett rührte, aufrichtete, ihn näher kommen sah und wie üblich halb belustigt, halb geringschätzig den Kopf schüttelte. Er hörte die Verachtung in ihrer tiefen, kehligen Stimme. Das ist mal wieder typisch für dich, würde sie sagen, einfach blindlings loszuschlagen, dich in eine Sache zu stürzen, ohne alles vorher zu durchdenken.
Aber er hatte einen Plan, dachte er, streckte die Arme über den Kopf und bewunderte für einen Moment seinen schlanken Körper, den harten Bizeps unter dem kurzärmeligen schwarzen T-Shirt. Er hatte immer große Mühe auf sein Aussehen verwendet, und mit 32 war er in besserer Verfassung denn je. Das macht das Gefängnis mit einem, dachte er und lachte wieder in sich hinein.
Er hörte ein Geräusch, blickte zum offenen Fenster und sah, dass ein großer Palmwedel gegen die obere Hälfte der Scheibe schlug. Der stärker werdende Wind wehte die zarten Stores in mehrere Richtungen gleichzeitig, sodass die Gardinen aussahen wie flatternde Fahnen, deren rasende Bewegung er als Zeichen der Ermutigung und Anfeuerung nahm. Der Wetterbericht hatte bis zum Morgengrauen heftige Schauer
im Großraum Miami angekündigt. Die hübsche blonde Ansagerin hatte sogar vor schweren Gewitterstürmen gewarnt, aber was wusste die schon? Sie las einfach ab, was auf den Texttafeln vor ihr stand, und diese dummen Vorhersagen waren in mindestens der Hälfte der Fälle falsch. Nicht, dass das irgendwie von Belang war. Morgen würde sie mit neuen unverlässlichen Prognosen wieder auf Sendung gehen. Nie wurde jemand zur Rechenschaft gezogen. Er formte eine Pistole aus seinen behandschuhten Fingern und drückte ab.
Heute Nacht schon.
Mit drei raschen Schritten schlich er auf Turnschuhen über das helle Parkett im Wohnzimmer und stieß mit der Hüfte gegen die spitze Kante eines hohen Ohrensessels, an den er nicht mehr gedacht hatte. Er fluchte leise - ein Schwall farbenprächtiger Schmähungen, die er von einem ehemaligen Zellengenossen in Raiford gelernt hatte - und zog das Fenster vorsichtig zu. Sofort übertönte das leise Summen der Klimaanlage das gequälte Heulen des Windes. Er hatte es gerade noch rechtzeitig ins Haus geschafft, dank eines Seitenfensters, das genauso leicht aufzubrechen war, wie er es immer vermutet hatte. Sie hätte mittlerweile wirklich eine Alarmanlage installieren lassen sollen. Eine allein lebende Frau. Wie oft hatte er ihr erklärt, wie leicht irgendjemand ihr Fenster aufstemmen könnte? Nun ja, sie konnte jedenfalls nicht behaupten, er hätte sie nicht gewarnt, dachte er, als er sich an die Abende erinnerte, als sie an ihrem Esstisch gesessen und Wein - oder in seinem Fall Bier - getrunken hatten. Aber selbst damals, ganz zu Beginn, als sie noch vorsichtig optimistisch war, hatte sie ihn unwillentlich wissen lassen, dass er in ihrem Haus eher geduldet als willkommen war. Und wenn sie ihn ansah, falls sie ihn überhaupt eines Blickes würdigte, zuckte unwillkürlich ihre hübsche kleine Stupsnase, als habe sie einen unangenehmen Geruch gewittert.
Dabei war sie die Letzte, die auf irgendwen herabblicken konnte, dachte er, während sich seine Augen langsam an die
Dunkelheit gewöhnten, sodass er das kleine Sofa und den Couchtisch aus Glas in der Mitte des Zimmers ausmachen konnte. Das musste man ihr lassen - sie hatte das Haus nett hergerichtet. Was sagten noch immer alle über sie? Sie hatte Geschmack. Ja, das stimmte. Geschmack. Wenn sie dazu auch noch halbwegs ordentlich kochen könnte, höhnte er, als er an die grässlichen vegetarischen Gerichte dachte, die sie einem als Abendessen verkauft hatte. Verdammt, sogar der Gefängnisfraß war besser gewesen als dieser gotterbärmliche Mist. Kein Wunder, dass sie keinen Mann gefunden hatte.
Obwohl er diesbezüglich auch so seine Vermutungen hatte.
Er ging in den winzigen, ans Wohnzimmer angrenzenden Essbereich und strich mit der Hand über die hohen Rückenlehnen mehrerer stoffbezogener Stühle, die um einen ovalen Glastisch gruppiert waren. Jede
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