Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)
seine Zeit füllen konnte. Er stand auf und holte Zigaretten und Aschenbecher. Rauchte. Starrte vor sich hin. Er trank sein Bier aus, dann schrieb er:
Larry?
Versicherung
Kassensturz
Doreen anrufen?
Liz?
Job?
Pool Wasser? (Kostenvoranschlag)
Garage (Platten?)
Agnes anrufen
Eine lange Liste. Als er sie zusammengestellt hatte, goss er sich einen Kaffee ein. Es gab keine Milch. Er trank ihn schwarz, las das Geschriebene. Dann fügte er hinzu:
Neue Laufschuhe
Er seufzte. Er musste einen Kassensturz machen. Sehen, wo er finanziell stand. Unterlagen und Papier bewahrte er im Schreibtisch auf.
Er fand den großen Folder. Autoversicherung. Hauskauf. Leasing für den Wagen. Lebensversicherung, diverse Konten. Es dauerte nicht lange. Er war an Zahlen gewöhnt. Bereits nach zwanzig Minuten war klar, dass ihm nicht viel blieb.
Das Haus würde in drei Monaten abbezahlt sein. Die Rücklagen deckten die Kreditzahlungen. Die Fixkosten waren das Problem: Auto, Lebensunterhalt, Versicherungen, zum Jahresende würde ihm das Geld zum Leben fehlen.
Er starrte auf die Zahlen vor sich. Wenn er die Lebensversicherung einlöste, würde das Geld noch einige Monate länger reichen. Dann war Ende. Ende. Mit neunundvierzig war er am Tiefpunkt.
Die Klarheit über seine Situation hatte etwas Befreiendes. Er brauchte einen Job. Oder er würde das Haus verkaufen müssen. Den Pool würde er jedenfalls nicht mit Wasser füllen können, so viel war klar. Er strich den Punkt auf der Liste durch.
Er öffnete noch ein Bier. Entschied dann, dass er etwas Härteres brauchte. Scotch. Einen doppelten.
Langsam klaubte er das Papier zusammen. Suchte nach einer Büroklammer. Er versuchte, die große schmale Schublade zu öffnen, doch sie klemmte. Heftig zog er am Messingknauf. Die Lade löste sich mit einem Ruck, und der halbe Inhalt fiel auf den Boden. Ächzend hockte er sich hin. Machte sich daran, Papiere, Stifte, Heftklammern einzusammeln. Da fiel ihm ein zusammengefalteter Ausriss einer Anzeige in die Hände.
Ein großer Fernsehsessel. Lazyboy. Er strich das Papier glatt. Erinnerte sich, dass er einen Lazyboy hatte kaufen wollen. Mit verstellbarer Rückenlehne, Federkern und Fußstütze. Ideal für seine Größe.
Liz war dagegen gewesen. Zu wuchtig, hatte sie gesagt.
Er holte einen Müllbeutel aus der Küche und heftete den Lazyboy-Ausriss an den Kühlschrank. Dann warf er die Wäsche in den Trockner und fuhr mit dem Aufräumen der Schublade fort: alte Schlüssel, ein Handyladegerät, dreckige Radiergummis, Kassenbons, er warf alles weg.
Dann entdeckte er die Ursache dafür, warum sich die Schublade verklemmt hatte. Ein kleiner zerknüllter Zettel hatte sich ganz hinten verkeilt. Die Schrift darauf war fast nicht mehr zu erkennen. Offenbar hatte jemand in Eile das Papier zerrissen und die eine Hälfte in die Lade gestopft.
»… so kompliziert ist. Atme. Beruhige Dich. Liz, mein Engel, ich werde mit ihm sprechen. Alles wird gut. P.«
Was war das? Er las den Zettel noch einmal.
»… Liz, mein Engel …« Was war das, um Himmels willen?
Er wühlte in der Lade. Kippte sie wieder aus und suchte nach dem fehlenden Teil der Nachricht. Aber außer einigen leeren Briefumschlägen, einem Notizblock, unzähligen Stiften, Magneten und Heftzwecken fand er nichts.
»Beruhige Dich …«
Beruhige Dich? Warum sollte Liz sich beruhigen?
Unterzeichnet mit »P.«
Sein Magen schmerzte. Es drängte sich ein Gedanke auf. Er spürte Übelkeit. Der Körper kannte die Antwort.
Peter hatte Liz diesen Brief geschrieben. Das passte zu ihm. Peter hatte immer kleine Kärtchen oder Nachrichten geschrieben. Und sie hatte alles aufgehoben. Weihnachtskarten, Neujahrsgrüße. Er fand die verzierte Schachtel oben auf dem Regal. Mintfarbene Pappe mit zartrosa Blüten. Hastig leerte Tim sie aus. Bunte Karten fielen auf den Boden. Er musste nicht lange suchen:
»Liebe Freunde, ein gutes Jahr geht zu Ende. Wir können es nicht erwarten, auf ein glorreiches neues mit Euch anzustoßen. Merry Christmas! Herzlich, Peter & Doreen.«
Peter hatte die Karte geschrieben. Die verdammte Karte.
Dieselbe Handschrift.
Tim setzte sich zwischen Weihnachtskarten, Müllbeutel und herausgerissener Schublade auf den Boden. Der ganze Körper tat weh.
Was für ein Idiot er war.
Die Stille des Hauses summte in seinen Ohren. Ein metallenes Klimpern drang über den Flur ins Arbeitszimmer. Er horchte, starrte vor sich hin. Bis er schließlich dem Geräusch nachging. Es kam aus dem
Weitere Kostenlose Bücher