Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Blutige Rache

Titel: Blutige Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Sandford
Vom Netzwerk:
EINS
     
     
     
     
    Mitternachtsschicht: der Schütze auf dem Weg zur Arbeit.
    Er joggte in einem anthrazitfarbenen Nylon-Regenanzug und schwarzen New-Balance-Laufschuhen durch die Nacht, einen auffälligen, grün reflektierenden Streifen über den Schultern wie einen Patronengurt. Der Schütze hatte nichts zu verbergen …
    Er bewegte sich mit Bedacht und ohne Hast, denn der alte Gehsteig, vermutlich noch aus den ersten Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts, hatte Risse und gab beim Laufen nach. Ein falscher Schritt, und er verstauchte sich vielleicht den Fuß. Und das konnte sich ein Mann, der eine Pistole mit Schalldämpfer in der Tasche hatte, nicht leisten.
    Eine schwüle, wolkige Nacht. Im Norden zuckten Blitze über den Himmel; das Gewitter zog in etwa fünfzehn Kilometern Entfernung vorbei: Noch war kein erfrischender Regen zu erwarten. Der Duft von Sommerblumen wehte von hübschen, gepflegten Häusern im viktorianischen Zuckerbäckerstil und eingezäunten Gärten herüber.
    Stillwater, Minnesota, auf einem Felsvorsprung über dem St. Croix River gelegen. In der Third Street hatten früher so viele Kirchen gestanden, dass die Ortsansässigen sie Church Street nannten. Die Türme der verbliebenen Gotteshäuser ragten in den nächtlichen Himmel wie mittelalterliche Blitzableiter gegen die Übeltaten der Menschen.

    Der Schütze passierte das historische Gerichtsgebäude, einen Ziegelbau, bewacht von der Bronzestatue eines Bürgerkriegsinfanteristen mit aufgepflanztem Bajonett. Er blieb hinter einem Baum stehen, vornübergebeugt, die Hände auf die Knie gestützt, als wollte er Atem holen oder Dehnübungen machen. Schaute sich um. Sagte leise: »Bin da.«
    Dunkle Stille. Kurzes Warten. Dann entfernte er den reflektierenden Streifen von seinen Schultern und steckte ihn in die Tasche. Nun war er nicht mehr zu sehen, von der Nacht verschluckt.
    Gegenüber vom Gerichtsgebäude, etwas weiter den Hügel hinunter, erhob sich in einer winzigen Grünanlage eine angestrahlte, mit drei Meter dicken Granitplatten verankerte Metallspitze. Auf den Platten befanden sich Plaketten mit den Namen der jungen Männer aus der Gegend, die nicht aus den Kriegen seit der Gründung von Stillwater zurückgekehrt waren. Eine noch nicht beschriftete hing bereit für die Gefallenen des Afghanistan- und Irakkrieges.
    Der Schütze lief hinüber zu dem Monument. Das helle Licht ließ die Schatten rundherum noch dunkler erscheinen, in die er sich nach einem Blick auf das Leuchtzifferblatt seiner Uhr duckte.
    Wenn Sanderson seinen Gewohnheiten - besser gesagt, denen seines Schäferhundes - treu bliebe, würde er innerhalb der nächsten zehn Minuten die westliche Seite der Third Street entlanggehen. Schade um den Hund.
     
    Chuck Utecht war der Erste auf der Liste gewesen, ein Mann, der ein wenig an ein glattes weißes Hühnerei erinnerte. Als sein Kopf platzte, war sein Gehirn herausgespritzt wie Eigelb. Er hatte drei Namen verraten. Ohne zu zögern.
    »Ich hab im Leben nur einmal was Schlimmes getan«, hatte
er gejammert. »Und seitdem bemühe ich mich, es wiedergutzumachen.«
    Seine letzten Worte waren »Es tut mir leid« gewesen, nicht seiner Taten wegen, sondern weil er wusste, was ihm bevorstand, und er hatte in die Hose gemacht.
    Der Scout konnte einem Mann, der seine Exekution akzeptierte und sie für gerechtfertigt zu halten schien, nur eine begrenzte Anzahl von Informationen entlocken. Außerdem waren sie an einem Ort gewesen, an dem er weder Zange noch Messer noch Seile noch Strom verwenden konnte. Utecht hatte schicksalsergeben die Augen geschlossen und leise zu beten begonnen, der Scout hatte den Schützen angesehen und genickt. Daraufhin hatte der Schütze ihm mitten im Gebet zweimal in den Hinterkopf geschossen.
    Jetzt wartete er auf Sanderson und den Hund.
    Sie brauchten noch zwei Namen.
    Der Scout flüsterte dem Schützen zu: »Er kommt.«
     
    Bobby Sanderson trottete, den Hund an der Leine, die Third Street entlang. Nach dem Hund konnte man die Uhr stellen: Um acht morgens machte er einen kleinen, um elf abends einen großen Haufen, wenn nicht auf der Straße, dann auf irgendeiner Grünfläche, und in den trat Sanderson am folgenden Tag, das war so sicher wie das Amen in der Kirche.
    Sanderson beschäftigte eine Auseinandersetzung mit seiner Freundin: Sie wollte nicht, dass er abends das Haus verließ, jedenfalls vorläufig nicht, bis sie wussten, ob etwas im Gange war.
    »Wenn du aus Angst die anderen zusammentrommelst,

Weitere Kostenlose Bücher