Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)
sie nur von hinten sehen.
Er öffnete in Boxershorts und T -Shirt.
Cynthia Sheldon zuckte zusammen, hielt ihm sein Jackett entgegen. Das braune Arbeitsjackett.
»Ich … hatte was in der Gegend zu tun. Das hast du im Schrank vergessen.« Sie errötete und sah zu Boden. Ihre silbernen Kreolen zitterten.
Es war drei Jahre her, dass sie ihm bei der Betriebsfeier einen geblasen hatte. Auf der Toilette. Sie war betrunken gewesen. Danach hatten sie sich eine Zeit lang nicht gegrüßt.
»Danke. Ich mache gerade Kaffee …«
Ihr Gesicht war so rot wie das gefärbte Haar. Nervöses Lachen. Sie blieb im Türrahmen zwischen Flur und Küche stehen, während er Kaffeetassen holte. Blickte verstohlen umher. »Ist Liz … unterwegs?«
Es nervte ihn, dass sie flüsterte. Er drehte sich nicht um. »Liz ist weg.«
Der Kaffee lief dampfend in die Kanne.
»Das tut mir leid.« Schweiß glänzte auf ihren Schläfen. Die Luft um sie herum zitterte.
Für einen Moment dachte er darüber nach, sie im Ehebett zu vögeln. Es wäre ein Leichtes gewesen. Als er neben sie trat, wich sie zurück. Langsam nahm er einen Schluck und ließ sie dabei nicht aus den Augen.
»Danke für den Kaffee.« Sie errötete wieder.
»Danke, dass du vorbeigekommen bist.«
Sie trat von einem Fuß auf den anderen. Der Holzfußboden knarzte leise. Ihr Parfüm, Sandelholz und Opium, viel zu schwer.
»Wohnst du hier in der Gegend?«
»Nein, nein …« Sie räusperte sich. »Mein Vater ist pflegebedürftig, ich fahre an den Wochenenden hin. Er hat ein Haus fünf Minuten von hier.« Hektisch wies sie mit dem Kopf nach links.
Selten hatte er sie entspannt gesehen. Wenn er sie überhaupt wahrgenommen hatte. Verstohlen wischte sie sich mit Zeige- und Mittelfinger über die Stirn.
»Willst du dich setzen?« Leicht berührte er ihren Oberarm.
Sie schluckte. Etwas flackerte in ihren Augen. Ein Kopfzucken. Wieder Erröten bis zum Haaransatz. Dann gab sie ihm abrupt die volle Tasse zurück.
»Ich muss los … Danke für den Kaffee!« Bevor Cynthia Sheldon auf die Straße trat, zupfte sie nervös an ihrem Ärmel. »Du wirst uns fehlen im Büro.«
Er begann, im Wohnzimmer aufzuräumen, sammelte die leeren Flaschen ein, fegte die Scherben zusammen. Hinter dem Sofakissen fand er sein Handy. Keine Anrufe. Die Scherben entsorgte er in den Mülleimer in der Küche.
Ein sandfarbener Buick Riviera parkte auf der anderen Straßenseite. Baujahr ’69, schätzte er. Sofort hatte er den Geruch von echtem Leder wieder in der Nase. Sein Vater hatte damals ein ähnliches Modell besessen. Mit Dreisitzerbank vorne. Seine Schwester und er hatten immer darum gestritten, in der Mitte sitzen zu dürfen. Sonntags hatten sie geholfen, den Wagen zu waschen. Mintgrün. Baujahr ’66, da war er sich sicher. Das Rückfenster diamantenförmig. Mit dunklem Leder innen. In kurzen Hosen hatte er den vollen Eimer balanciert. Den großen Schwamm mit beiden Händen gegriffen.
Der Vater passte genau auf, wie man den Wagen einseifte. Danach kam der Schlauch. Er durfte nicht zu nah am Wagen stehen, der Wasserdruck musste stimmen. Sonst wurde er ins Haus geschickt.
Wenn der Wagen glänzte, wurde eine Runde gefahren. Manchmal durfte er aus der Einfahrt fahren. Nur er. Die Schwester nicht. Dann fuhren sie eine Sonntagsrunde. Wenn der Vater »Sonntagsrunde« sagte, wusste Tim, dass sie um die Ecke haltmachen würden, beim kleinen Laden. Der Vater hatte dann gute Laune. Lachend nahm er beide Hände vom Steuer, und Tim griff eilig zu. Dann tätschelte der Vater ihm den Kopf, ging in den Laden hinein, während Tim im Wagen blieb. Aufgeregt rutschte er hinters Steuer, strich über das glänzende Armaturenbrett.
Die Flaschen klirrten auf der Fahrt nach Hause in der braunen Papiertüte. Oft begann der Alte schon auf der Fahrt zu trinken. Dann durfte Tim eine Flasche öffnen. Vorsichtig, damit nichts überlief.
Der erste Schluck war für ihn. Das Bier schmeckte bitter, aber erfrischend. Für einen Moment fühlte er sich wie ein Erwachsener.
Der Vater setzte sich in den dunkelgrünen Cordsessel, die braune Papiertüte zu seinen Füßen. Die geleerten Flaschen sammelten sich auf dem Couchtisch. Am späten Nachmittag fiel das Sonnenlicht auf das grüne Flaschenglas. Dann streunte er immer draußen herum. Wenn er es nicht rechtzeitig schaffte zu gehen, zog der Vater den Gürtel aus. Einen Grund gab es immer.
Jetzt saß sein Vater nur noch in einem Sessel. Mit Fernbedienung in der Lehne. Die Füße in
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