Als der Tag begann
Jahren Psychologiestudium, in denen er auch Erfahrungen als Sozialarbeiter gesammelt hatte, mit einem Einkommen, das leicht über dem Mindestlohn lag. Aber das Aufrechterhalten von zwei völlig voneinander getrennten Leben – der seriöse Versuch, »ehrlich« zu leben, gegenüber einem Leben in Saus und Braus – war zu anstrengend. Das einträgliche Drogengeschäft übte eine zu starke Anziehungskraft aus: Es übertrumpfte einfach alles, was ein Durchschnittsleben zu bieten hatte. Also mietete er eine Wohnung im East Village an und arbeitete ganztags im Rauschgifthandel, umgeben von komischen Typen aus Lower Manhattan mit Vorstrafenregister und Bandenzugehörigkeit – seiner »Crew«. Es ergab sich, dass Ma dort auftauchte,
genau um diesen Zeitpunkt herum, und sich in derselben unkonventionellen Clique einfach treiben ließ.
Jahre später begegneten sie sich im Loft eines Freundes. Speed und Kokain wurden so beiläufig wie Softdrinks verteilt, und alle tanzten im Licht sanft schimmernder Lavalampen zu Discomusik die Nacht durch, umwabert vom Duft der Räucherstäbchen. Sie hatten sich schon vorher ein paarmal getroffen, als er Ma Speed oder Heroin verkaufte. Gewöhnt an ihr Leben auf der Straße, war Mas erster Eindruck von Daddy wie eine Art Begegnung mit einem Filmstar.
»Du hättest mal sehen müssen, wie dein Vater die Aufmerksamkeit auf sich zog «, erzählte sie mir. »Er hatte alle im Griff, forderte reihum Respekt ein.« Als sie zusammenkamen, war Ma zweiundzwanzig und Daddy vierunddreißig Jahre alt. Ma folgte dem Modetrend der Siebziger, mit Blumenkinderbluse und nahezu unsichtbaren Hotpants. Daddy beschrieb sie als vergnügt und ausgelassen mit langem, gewelltem schwarzen Haar und strahlenden, durchdringenden bernsteinfarbenen Augen. Daddy sagte, er habe sie nur einmal angesehen und sich in ihre Unschuld verliebt. Aber eben auch in ihre Entschlossenheit und Stärke. »Sie war unberechenbar«, sagt er. »Man wusste nie, ob sie verschlagen oder total naiv war. Bei ihr war beides möglich.«
Sie verstanden sich auf Anhieb prächtig und benahmen sich in vielerlei Hinsicht wie jedes frisch verliebte Pärchen: leidenschaftlich und erpicht darauf, zusammen zu sein. Aber statt ins Kino oder ins Restaurant zu gehen, war der nächste Schuss ihre Gemeinsamkeit. Sie dröhnten sich zu, um Vertrautheit zu finden. Langsam vernachlässigten Ma und Daddy ihre Clique, um Zeit füreinander zu haben; sie spazierten durch Manhattans Straßen, hielten Händchen und brachten sich gegenseitig in Stimmung. Sie nahmen Briefchen mit Kokain und Bierflaschen in den Central Park mit, wo sie sich dann auf einem Hügel niederließen, um sich im Mondlicht Arm in Arm auszustrecken und high zu werden.
Wenn das Leben meinen Eltern unterschiedliche Perspektiven geboten hatte, bevor sie sich trafen, so dauerte es nicht lange, bis ihre Wege vollkommen parallel verliefen. Der verfrühte Start unserer Familie glich sie einander an, als sie Anfang 1977 zusammenzogen. Lisa, meine ältere Schwester, wurde im Februar 1978 geboren, als Ma dreiundzwanzig war.
In Lisas Kindheit zogen meine Eltern eine von Daddys einträglichen Drogenbetrügereien durch. Das Szenario beinhaltete das Vortäuschen einer fiktiven Arztpraxis, um dadurch den Erwerb von Schmerzmitteln auf Rezept zu ermöglichen, von denen Daddy sagte, sie seien »stark genug, um ein Pferd bewusstlos zu machen«. Üblicherweise bei Krebspatienten im Sterbehospiz eingesetzt, hatte nur eine einzige dieser winzigen Pillen einen Straßenwert von fünfzehn Dollar. Allein für seine Studentenklientel vom College pflegte Daddy gefälschte Rezepte für den Umschlag von Hunderten dieser Pillen pro Woche auszustellen, mit denen Ma und Daddy sich ein Einkommen von Tausenden von Dollar im Monat verschafften.
Daddy mühte sich unglaublich ab, um ein Auffliegen zu verhindern. Geduld und Detailbesessenheit würden ihn seiner Überzeugung nach vor dem Gefängnis bewahren. »Man muss es richtig angehen«, sagte er. Akribisch benutzte Daddy das Telefonbuch und Stadtpläne aller fünf Bezirke New York Citys, um sorgsam einen Plan der Apotheken aufzustellen, die sie systematisch Woche für Woche ansteuern würden. Der bei Weitem riskanteste Teil des ganzen Betrugs bestand tatsächlich im Betreten der Apotheke zum Einlösen eines Rezepts, ein Schritt, der durch die gesetzliche Verpflichtung des Apothekers, die Ärzte anzurufen und alle »Verschreibungen« für derartig starke Schmerzmittel zu
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